Winnenden - Tim K., der am 11. März 2009 in Winnenden und Wendlingen 15 Menschen und sich selbst erschossen hat, verbrachte viel Zeit mit Gewaltspielen am Computer. Auch mit solchen, die für den 17-Jährigen nicht freigegeben waren. Welchen Einfluss haben solche Spiele auf Jugendliche? Darüber diskutieren Patrik Schönfeldt vom Verband der Computerspieler und Gisela Mayer, die Mutter einer in Winnenden getöteten Lehrerin.
"Was im Kinderzimmer
passiert, können nur die Eltern kontrollieren."
Patrik Schönfeldt vom Verband der Computerspieler.
Herr Schönfeldt, Sie spielen häufig "Counterstrike" - was fasziniert Sie an solchen gewalttätigen Spielen?
Schönfeldt: Die Faszination von "Counterstrike" und ähnlichen Spielen liegt vor allem im Wettkampf mit den Gegenspielern, die übers Internet zugeschaltet sind. Man spielt mit vier Freunden gegen ein unbekanntes Team. Das Aufregende ist zum Beispiel, sich raffinierte Taktiken zu überlegen und den Gegner zu überraschen.
Warum geht es nicht ohne Gewalt? In solchen Spielen wird der Gegner verbrannt, erdrosselt, mit einer Motorsäge zerschnitten, mit Stahlnägeln an der Wand fixiert...
Schönfeldt: Das ist eine etwas krude Aufstellung. Darstellungen von Verbrennen oder Zerhacken sind in Computerspielen in Deutschland nicht erlaubt. Allgemein dient die Gewaltdarstellung dazu, dem Spiel mehr Spannung zu verleihen. Man braucht diese für den schnellen Wettkampf. Man muss Sinneseindrücke verarbeiten und reagieren, und das funktioniert besser, wenn das Spiel nicht so abstrakt ist.
Frau Mayer, können Sie diese Faszination nachvollziehen?
Mayer: Dass man den Wettkampfgedanken schön findet und gerne im Team spielt, ist nachvollziehbar. Aber ich halte die Gewalt in den Computerspielen nicht für eine Nebensächlichkeit. Sonst könnte man ja alle Spiele so abändern, dass getroffene Personen nur noch einen Farbfleck auf der Brust haben. Ich gehe jede Wette ein, dass die Umsatzzahlen rapide absacken würden.
Worum geht es dann?
Mayer: Es geht um das archaische Muster des Menschen, Gewalt und Macht auszuüben, den anderen zu besiegen und ihn zu vernichten.
Schönfeldt: Im Computerspiel ist der Spieler nicht real vorhanden - und dieses fehlende Element der Körperlichkeit wird dadurch ausgeglichen, dass es im Spiel für die Figur lebensbedrohlich wird.
Allein in Deutschland spielen 23 Millionen Menschen solche Spiele. Erschreckend?
Schönfeldt: Die Faszination des Grundmusters ist schon immer da gewesen. Früher hat man Räuber und Gendarm oder Cowboy und Indianer gespielt. Jetzt ist dieses Muster in die virtuelle Welt verlagert.
Mayer: Wir haben bei Indianerspielen niemanden abgeschossen - und es gab Regeln und Grenzen. Aber ich sehe das Problem ganz woanders. Beim Computerspiel lerne ich etwas, und zwar das Falsche. Ich lerne Gewaltausübung durch Wiederholung, durch Belohnungssysteme, durch das Einüben ganzer Sequenzen. Ich gehe deswegen nicht auf die Straße und werde Amokläufer. Aber: in dem Moment, in dem ich unter Druck gerate, setze ich den Reflex ein, den ich geübt habe. Dieser Bahneneffekt ist von Hirnforschern nachgewiesen.
Schönfeldt: Das Entscheidende ist, dass ich das Spiel als Wettkampf wahrnehme und nicht als Schauspiel oder Identifikationsgrundlage. In Rollenspielen, in denen man sich mit der Spielfigur identifizieren soll, sieht man diese fast immer. Das ist in Actionspielen aber kaum der Fall.
Mayer: Natürlich gibt es eine Identifikation im Spiel - wer soll das denn sonst sein, der da die Knarre hält?
Schönfeldt: Es gilt: ich werde nicht zum Amokläufer, weil ich solche Spiele spiele. Es ist ausschließlich eine virtuelle Realität.
Neben der Gewalt kommt ja hinzu, dass in den Spielen meist eine demokratiefreie Zone herrscht, dass Stärke über Recht geht und Geld einen ganz hohen Wert besitzt.
Schönfeldt: Es ist ein Spiel - und es bleibt ein Spiel.
Würden Sie das auch für alle anderen Spieler unterschreiben?
Schönfeldt: Ich kann das für mich sagen, und ich kann das für alle Menschen sagen, die geistig in Ordnung sind und bei klarem Verstand.
Und die anderen, die nicht so gefestigt sind?
Schönfeldt: Was die angeht, kann ein Spiel vielleicht eine schädliche Auswirkung haben. Aber das Gleiche gilt für das Autofahren: Niemand käme auf die Idee, das Autofahren zu verbieten, nur weil es einige Leute gibt, die Amokfahrten auf der falschen Richtungsspur unternehmen.
Mayer: Natürlich sind diese Spiele nicht konstruiert, um spätere Gewalttäter auszubilden. Geschenkt. Es geht aber um die unerwünschten Nebenwirkungen. Das Problem ist, dass ich gelernt habe, dass Gewalt eine Möglichkeit ist, um Konflikte zu lösen. Es gibt in einem neuen Spiel eine Sequenz, bei der ein verletzter Mensch an einer Wand lehnt - der kann erschossen werden. Ich als Ethiklehrerin bin entsetzt über solche Muster. Kinder sollen lernen: je hilfloser ein Mensch ist, umso höher ist die Verantwortung der Umstehenden.
Schönfeldt: Unter den Spielern hat diese Szene starke Reaktionen ausgelöst - eine Mehrheit lehnt sie ab. Wir haben dazu Umfragen gemacht.
Bewegen wir uns jetzt auf eine gemeinsame Minimalposition zu: Gewisse Darstellungen akzeptiert der Spielerverband auch nicht?
Schönfeldt: Ja, es gibt unnötige Szenen.
Wie könnte man diese gemeinsame Forderung allgemein formulieren?
Schönfeldt: Schießen auf Unbeteiligte - das braucht ein Spiel eindeutig nicht.
Aber Töten muss sein?
Schönfeldt: Ja, das Schießen gehört zum Wettkampf dazu.
Es geht ja vor allem um den Schutz von Jugendlichen. Welcher Anteil der Spiele ist für Jugendliche freigegeben?
Schönfeldt: Das ist die Mehrzahl - aber in der abgespeckten deutschen Version, in der kein Blut fließt oder in der die erschossenen Menschen einfach verschwinden. Deutschland hat die strengsten Gesetze weltweit.
Wo gibt es dennoch Handlungsbedarf?
Schönfeldt: Es gilt, die Eltern aufzuklären. Was im Kinderzimmer passiert, das können Schulen oder Behörden nicht kontrollieren. Auch der Einzelhandel hat keine großen Kontrollmöglichkeiten mehr, weil man sich die meisten Spiele aus dem Netz herunterlädt. So ist es ganz entscheidend, den Eltern beizubringen, was geeignet ist. Nur die Eltern können es kontrollieren.
Mayer: Da gehe ich zum Teil mit. Eltern müssen zur Verantwortung gezogen werden. Mit Hilfe eines Fragebogens der Forscher Douglas Gentile und Craig Anderson können Eltern ganz einfach abklären, ob ein Spiel im Jugendzimmer zulässig ist. Die Kriterien lauten: wird Gewalt aktiv ausgeübt, gibt es Wiederholungen, gibt es ein Belohnungssystem für Gewalt? Sind diese Bedingungen erfüllt, ist es nicht zulässig.
Wie kann man die Eltern stärker in die Verantwortung nehmen?
Mayer: Wenn Eltern ihrer Verantwortung nicht gerecht werden, sollte ein Strafsystem greifen. Die Eltern sollen geradestehen, wenn die Kinder Gewaltspiele spielen.
Sie plädieren hier für ein neues Gesetz?
Mayer: Eindeutig. Aus Ihren Reihen, Herr Schönfeldt, kam auch der Vorschlag, ein Sperrsystem einzuführen. Das halte ich für sinnvoll. Ein Spieler muss sich über Personalausweis oder Code erst anmelden.
Schönfeldt: Ähnliche Systeme gibt es bereits, das befürworten wir auch. Es ist aber auch hier entscheidend, dass die Eltern sich auskennen und den Code aktivieren.
Welche weiteren gemeinsamen Punkte könnte es geben?
Schönfeldt: Ich könnte mir vorstellen, dass Spiele verschiedene Versionen, je nach Alter, besitzen - der 15-Jährige spielt also auf einem anderen Niveau als ein Erwachsener. Grundsätzlich ist klar, dass Ego-Shooter-Spiele nichts für Zwölfjährige sind.
Mayer: Daneben gibt es die Möglichkeit, Spiele extrem teuer zu machen, damit die Jugendlichen sie sich nicht mehr leisten können.
Schönfeldt: Davon halte ich gar nichts. Dann würden die Spiele aus schwarzen Kanälen kommen. Wichtig wäre vielmehr, dass im Unterricht PC-Spiele untersucht und bewertet werden. So lernen die Kinder, kritisch mit dem Medium umzugehen. Wir können Lehrern Einführungen geben und bereiten gerade ein solches Projekt vor.
Gibt es Überlegungen der Stiftung, im Bereich der Computerspiele aktiv zu werden?
Mayer:Ja, die gibt es. Und es wäre uns lieb, wir könnten dies mit Ihrem Verband gemeinsam machen, Herr Schönfeldt. Sie sind die Fachleute.
Herr Schönfeldt, was wären für Sie die Bedingungen für einen gemeinsamen Vorstoß?
Schönfeldt: Einschränkungen für erwachsene Spieler müssen verhindert werden. Wer geistig reif ist, soll spielen, was er will. Wir werden teilweise so verfolgt, dass Veranstaltungen abgesagt werden, bei denen Erwachsene Spiele spielen wollten, die ab 12 Jahren freigegeben sind.
Mayer: Da bin ich einverstanden. Bei Erwachsenen ist es keine Frage des Verbotes, das sind selbstbestimmte Menschen. Da ist es eher eine Frage des guten Geschmacks.
Frau Mayer, die Stiftung hat auch versucht, die Schützenvereine ins Boot zu holen. Gibt es bereits Ergebnisse?
Mayer: Inhaltlich kann ich noch nichts sagen, aber um die Jahreswende wird es ein Papier mit gemeinsamen Forderungen geben. Eine ähnliche Vorgehensweise könnte ich mir bei Computerspielen vorstellen. Es nützt uns nichts, nur Forderungen auf dem Papier zu stellen, sondern wir wollen sie umsetzen. Dafür brauchen wir alle Seiten.
Was meint ihr? Ich denke hier steht uns noch einiges zum diskutieren ins Haus.
Quelle: http://www.stuttgarter-zeitung…iessen-gehoert-dazu-.html