Quelle: http://www.faz-net.de
Autor: Michael Althen
Polit-Porno: "Der Baader Meinhof Komplex"
"Der Film hat von allem keine Meinung . . . Er überlässt den Zuschauern die Haltung, die er selbst nicht hat oder höchstens vortäuscht."
Diese Sätze stammen von Wim Wenders, und er hat sie geschrieben, nachdem er die Bernd-Eichinger-Produktion „Der Untergang“ gesehen hatte und fassungslos vor Zorn war. Nicht weil der Film von Oliver Hirschbiegel keine moralischen Fingerzeige gegeben hätte, sondern weil er es an jeder erzählerischen Haltung mangeln ließ. Dasselbe kann man genauso über die Bernd-Eichinger-Produktion „Der Baader Meinhof Komplex“ sagen, deren Regisseur Uli Edel moralisch auch keine Fragen offenlässt, aber erzählerisch keine Sekunde lang erkennen lässt, worin seine Interessen gelegen haben mögen. [...]
„Der Baader Meinhof Komplex“ ist ein Actionfilm, dessen 150 Minuten vergleichsweise zügig inszeniert sind. Es geht also voran, Geschichte wird gemacht - und zwar im Minutentakt. Vom Schah-Besuch bis zur Schleyer-Ermordung, das ist eine Menge Historie, fast so, als hätte man den „Untergang“ schon 1933 beginnen lassen. Vor lauter Aktionen, Anschlägen, Attentaten bleibt kaum noch Zeit, Atem zu holen. Es müssen ja all die Parolen und Schlagworte aufgesagt werden, die man aus dieser Zeit kennt, und all die Bilder nachgestellt werden, die man noch vor Augen hat - da ist man schon beschäftigt. [...]
Und dann gibt es einen bizarren Moment, der nicht nur deswegen bizarr ist, weil Bruno Ganz statt Hitler diesmal Horst Herold gibt, sondern weil er zur Einleitung seiner Sätze zur Rasterfahndung seinen Gästen seine Hummersuppe schmackhaft machen will. Und in diesem Moment denkt man, dass diese Suppe nun wirklich das erste Detail ist, das in diesem Film nicht hinlänglich aus Funk und Fernsehen bekannt ist - alles andere bis dahin (und auch im weiteren Fortgang) war ein Abgeklappere von Geläufigem und Allzugeläufigem, aber bei der Suppe haben sich die Filmemacher wirklich ins Zeug gelegt, dieses Skelett einer Erzählung mit Fleisch zu versehen.
Das Fleisch jeder filmischen Erzählung sind natürlich die Schauspieler, und da sich diese Produktion der Dienste der Besten versichert hat, spielt die Besetzung keine geringe Rolle. Über Johanna Wokalek wurde schon viel geredet: Sie spielt Gudrun Ensslin als bleiche, glutäugige Fanatikerin, deren Sex-Appeal auch ohne Waffen den Staat auf die Knie gezwungen hätte. Moritz Bleibtreu als Baader bleibt deutlich hinter Frank Giering in „Baader“ zurück, weil seinem Hedonismus die proletarische Wucht fehlt. Nur schnelle Autos fahren und alle Frauen als „Fotzen“ bezeichnen ist halt dann doch nicht genug. Bleibt Martina Gedeck als Ulrike Meinhof, die sich gegen die schneidende Schärfe des Originals entschieden hat und mit ihrer Interpretation in Ansätzen davon erzählt, welche Faszination die Aktionsbereitschaft der anderen auf eine Intellektuelle ihres Schlages ausübte. Das wäre vielleicht mal eine Figur gewesen, auf die sich der Film hätte konzentrieren können, die Intellektuelle, die in einen Strudel hineingerissen wird, der auf Worte mit kaltblütiger - und vielleicht gar nicht immer gewollter - Konsequenz Taten folgen ließ.
Aber Meinhof allein war nicht genug, es musste der ganze Komplex sein. Und zwar auf eine Weise, dass jede Klein- und Nebenrolle mit einem bekannten Gesicht besetzt wird. Hinter jeder Ecke lauert in diesem Film ein Star, bis man irgendwann denkt: Fehlt eigentlich nur noch Götz George. Vielleicht als Helmut Schmidt? Wäre auch nicht mehr darauf angekommen . . .
Als Geisterbahnfahrt durch jene Ära wird der Film natürlich trotzdem funktionieren - das war beim „Untergang“ nicht anders. Zumal die Terroristen sexy genug sind, um deutlich zu machen, dass es auch damals nicht nur um Ideologie ging. Der Film nennt eine Mörderbande eine Mörderbande - und verschweigt nicht, dass es zwei, drei Gründe gab, die sie auf den falschen Weg führten. Aber das ändert nichts daran, dass es sich beim „Baader Meinhof Komplex“ um einen Polit-Porno handelt. Er besteht nur aus Höhepunkten - der Rest ist Hummersuppe. Er verhält sich zu einem komplexeren Film wie ein Porno zum Liebesfilm. Wo der eine weiß, wie kompliziert die Dinge liegen, kennt er nur Eskalation. Das ist das Gegenteil von Haltung. Und deswegen sieht der Film die Terroristen am Ende eben doch so, wie sie nie waren.