Mereko
Genau das schätze ich so an dir, du merkst, wann du mehr inhaltliches Wissen brauchst, um mitreden zu können. ^^
Aber etwas siehst du immer noch zu getrennt. Du sagst, dass andere, "normale", Krankheiten einen Menschen zwingend umbringen, wenn er nicht die entsprechende Medikation erhält (oder diese noch nicht erfunden ist), und behauptest, dass dies bei einem Depressivem nicht der Fall ist. Aber das ist ein Trugschluss; Depressionen bringen einen Menschen genauso um, wenn man nichts dagegen tut. Wie schon sehr gut beschrieben wurde, man ist zu vernünftigen Entscheidungen schlichtweg nicht mehr fähig. Das Gehirn macht einem tagaus, tagein, deutlich, dass dieses Leben nicht mehr lebenswert ist. Man glaubt tatsächlich daran. Das hat dann nichts mehr mit Entscheidungsfreiheit zu tun, wenn man seinem Leben ein Ende setzt. Es kommt direkt von der Krankheit, man kann von sich aus herzlich wenig dagegen tun.
Genau das ist ja das Fiese an dieser Krankheit. Man sieht sie nicht nach außen hin und die Betroffenen merken meistens viel zu spät, was überhaupt mit ihnen passiert. Erste Symptome ziehen sich über Jahre hinweg durch das Leben, bis sie sich aufeinander stapeln und eben zu dem Denken führen, das einen schließlich umbringen kann. Das muss man als Außenstehender erst mal nachvollziehen: Der Verstand funktioniert nicht mehr rational, Arawn hat das sehr schön umschrieben mit seinen Beispielen. Jemand, dessen Depression so weit fortgeschritten ist, dass er tatsächlich an Suizid denkt, kann sich nur sehr schwer, wenn überhaupt, um letzten Moment dagegen entscheiden. Und das auch nur, wenn ihm einfällt, dass sein Umfeld ihn nicht verlassen hat, dass er Unterstützung bekommen kann, wenn er raus aus diesem Sumpf will. Ist das nicht vorhanden, hat er ein Problem. Und dann gute Nacht, Marie.
Und sagen wir so: Ich hatte letztes Jahr das Glück, meine Mutter an meiner Seite zu wissen, sonst hätte ich mich auch arg verrannt. Hat es einer hier im Forum gemerkt? Wohl nicht. Eben weil man es nicht nach außen trägt, man ist sich dessen nicht bewusst. Ohne familiären Rückhalt säße ich vielleicht nicht mehr hier, das muss man ganz klar sagen. ^^
Arawn & Midna
Wenn ich eure beiden Ausführungen so lese, kann ich selbst jedenfalls auch noch so einiges daraus entnehmen und lernen. Bevor ich anfing, mich an dieser Diskussion zu beteiligen, hätte ich wohl ähnlich wie Audi argumentiert, mittlerweile habt ihr mich da auf einen anderen Trichter gebracht.
Einem Depressivem die Entscheidung über Leben und Tod ihm selbst zu überlassen, ist wohl eher gefährlich als förderlich. Einerseits kann man natürlich argumentieren, dass er wie jeder "normal" Kranke (also sei es Krebs oder ähnlich schlimmes) lediglich endlich sein Leiden beenden möchte, da es keinen Ausweg gibt. Auf der anderen Seite muss man sich dabei eines vor Augen halten: Jemand mit einer rein körperlichen Krankheit ist nicht geistig eingeschränkt, zumindest selten in dem Maße wie ein tatsächlich psychisch Kranker. Habe ich Krebs, können damit auch Depressionen einhergehen, die meinen Verstand vernebeln, müssen aber nicht.
Und das ist eben der große Unterschied: Ein körperlich Kranker kann in vielen Fällen noch rational denken und auch entsprechende Entscheidungen treffen, die sein Leben oder seinen Tod betreffen. Ein geistig Kranker kann dies nicht, sein Denken ist fernab von jeglicher Rationalität. Kann man einem Menschen, der dahingehend komplett den Wirklichkeitssinn entbehrt, die Entscheidung über Leben und Tod in die Hand geben? Das denke ich nicht. Es wäre eine Entscheidung, die er ja nicht einmal wirklich selbst getroffen hat, sondern zu der er durch seine Krankheit lediglich getrieben wurde. Das zu unterstützen ist also genauso fehl am Platz wie nachträgliche Vorwürfe.
Anders sieht es aus, wenn man tatsächlich rational entscheiden kann. In einem anderen Forum kam neulich eine ähnliche Diskussion auf, daher habe ich noch einen Wikipedia-Artikel im Sinn, den ich euch dalassen möchte: Suizid in der Schweiz. Demnach sei es in der Schweiz ein Menschenrecht, über das eigene Leben auch mit dem Tod entscheiden zu können, "dies zumindest, soweit der Betroffene in der Lage ist, seinen entsprechenden Willen frei zu bilden und danach zu handeln". Also genau die Voraussetzungen, die ein schwer Depressiver nicht erfüllen kann.
Jetzt stellt man sich natürlich die Frage: Wie stellt man fest, ob der Mensch, den man vor sich hat, tatsächlich seinen Willen frei bildet? Was ist Willensfreiheit, Entscheidungsfreiheit? Bin ich nicht schon stark eingeschränkt in meinem Denken und meinen Entscheidungen, wenn mein Körper mir den Dienst versagt? Ist es dann die Verzweiflung, die mich zu der Entscheidung treibt, dass ich sterben möchte?
Im Grunde wirft das Ganze noch mehr (philosophische) Fragen auf als dass es Antworten liefert. Was meint ihr?