Ich halte beide Begrifflichkeiten für grundverschieden, jedoch kann man auch einen Zusammenhang sehen, allerdings ist jener keine Pflicht bzw. es lässt sich daran kein allgemeiner Satz ableiten.
Somit muss nicht zwingend von einem reziproken Verhältnis ausgegangen werden - soll heißen: Talent setzt sicherlich kein künstlicherisches Verständnis voraus, ebenso wenig Kunst Talent voraussetzen muss. Allerdings können sich beide durchaus bedingen, auch wenn es beim Talent ein wenig schwieriger ist, Kunst dessen vorauszusetzen.
(Fußnote: Sprechen wir allerdings von noch unentdeckten Potenzialen, die in uns schlummern, ist das eventuell wieder eine andere Geschichte - aber das nur am Rande.)
Da Kunst nicht zwangsläufig auf ein Talent zurückführen muss, ist Kunst also vielleicht eher auf eine subjektive Ebene zugeordnet. Hierbei könnte man nun mit der subjektiven Wertlehre anfangen, welche grob besagt, dass jedweder Wert nicht über ein objektives Kriterium festgesetzt wird - also ein Preis -, sondern viel mehr vom Betrachter selbst vergeben wird.
(Fußnote: der Preis kann dennoch ein objektives Kriterium an dieser Stelle sein, wenn ein Betrachter ein Gut für sehr knapp hält - soll heißen, dass die Preisfunktionen auch bei der subjektiven Wertlehre nicht unbedingt wegfallen müssen.)
Die Frage warum "Was ist Kunst?" nur subjektiv beantwortet werden kann, ist auf verschiedene Hintergründe zurückzuführen. Laut John Dewey, seines Zeichens einer der Reformpädagogen, der viele epochale Dogmen erlebt hat und den ich sehr schätze, ist Kunst mit einer Erfahrung gleichzusetzen.
"Erfahrung" ist allerdings ein sehr dehnbarer Begriff und um es an dieser Stelle mal grob zu erklären, warum Kunst als "Erfahrung" gesehen wird, lässt sich sogleich der Erfahrungsbegriff bei Dewey näher kontrastieren:
- Eine Alltagsefahrung ist bei Dewey nicht gerade förderlich für den Geist und lässt den Denkapparat in sich verkümmern. Das bedeutet also, wenn wir bei einer Erfahrung nicht wirklich nachdenken müssen (er spricht auch von "Gewohnheitserfahrung"), so verkümmert unsere geistige Leistungsfähigkeit und eine solche Erfahrung wirkt in sich "abgebrochen". Wir führen sie nicht zuende und sie verpufft in der unendlichen Menge an geistigen Eindrücken und Wahrnehmungen, die wir im Alltag so machen. Sie bringen uns nicht weiter.
- Hingegen spricht er bei einer ästhetischen Erfahrung davon, dass jene besonders ist, da wir diesen Gedankengang zuende führen und uns dabei weiterentwickeln, auch wenn wir es nicht merken. Dieser Gedankengang bleibt uns auch noch in Jahren enthalten und formt uns in gewisser Hinsicht.
Kunst ist also dann eine Erfahrung für uns, wenn sie uns gewissermaßen prägt. "Prägung" sollte allerdings nicht repetitiv sein, sondern besonders. So ist vielleicht das erste Zelda-Spiel noch eine künstlerisch sehr wertvolle Erfahrung, allerdings beim nächsten Spiel geht schon einiges von diesem Charme verloren - man stelle es sich wie eine degressiv ansteigende Nutzenkurve vor. Konsumiert man stets einen konstanten Wert, dann bringt es pro zusätzlicher Einheit immer weniger Nutzen (--> der Grenznutzen nimmt ab).
(Das bedeutet nun nicht unmittelbar, dass bei der Erhöhung des Konsums der Nutzen nun wieder zunehmen muss - eine Besonderheit im Kontext von Kunsterfahrungen und dem daraus resultierenden Nutzen.)
In Kunst verschmilzen für Dewey sich ansonsten sehr antagonistisch zueinander verhaltende Elemente, die auf den Betrachter einwirken. Das kann unter anderem etwas sein, was neu und zugleich alt ist, etwas individuelles und zugleich universelles oder oberflächlich und zugleich sehr tiefes. Kunst ist also für Dewey die universellste Form der Kommunikation die es gibt, da sie selbst sehr ambivalente Elemente miteinander verknüpfen kann und zugleich zum Ausdruck bringt. Der Quell dieses "Gefühls" ist dabei beim Betrachter, bei seinen bisherigen Erfahrungen und auch beim Schöpfer und seinen Erfahrungen, sowie beim schöpferischen Prozess des Kunstobjektes enthalten.
Und um beim Schöpfungsprozess des Kunstobjektes mal zu bleiben:
Man siehe beispielsweise einen Stuhl, der komplett aus harten Mehl besteht. Beim Prozess des Erstellens ist dem Schöpfer sicherlich einiges durch den Kopf gegangen und er hat es in dieses Werk einfließen lassen. Du als Betrachter bist ihm dabei wohlmöglich durch den Kopf gegangen, der Einfluss seiner Ideen während des Erstellungsprozesses (bezüglich des Materials), sowie auch seine vorhergegangenen Erfahrungen - wer weiß? Vielleicht sah er die Mona Lisa vorher und jene war ihm zu langweilig, also wollte er etwas Neues ausprobieren?
Kunst ist also ein dynamischer Prozess: nicht nur im Erstellungsprozess, sondern auch in der Wirkung danach. Was sie mit dir anstellen wird, definiert deine in diesem Moment daraus resultierende Erfahrung und auch deine Vorerfahrung, dein erster Eindruck und deine langfristige Wahrnehmung.
Ein Talent betrachte ich als besondere Ausprägung einer natürlichen Fähigkeit. Jedoch muss man dabei vorsichtig sein, denn dieser Gedanke hegt den unbehaglichen Aspekt des Vergleiches. Habe ich im Vergleich zu meinen übrigen Fähigkeiten nun ein Talent oder im gänzlichen Vergleich mit anderen Personen? Wenn wir uns dieser Frage widmen, dann kann man ein Talent zunächst nicht unbedingt leicht definieren, es sei denn, es ist etwas höchst seltenes und besonderes. Ich kann mich beispielsweise an einen Herrn erinnern, der in Köln jeden Sommer sich auf die Domplatte stellte und dort einen ganzen Kasten Wasser trank - der Typ kannte kein Ende und sein Bauch wuchs immer weiter an. Der Kasten war fast ganz leer, da spuckte er es sukzessive wieder aus. Wir nannten das immer "Aquaknarre", denn der Kerl würgte es nicht hoch, sondern spuckte willentlich und nach Bedarf aus.
Das ist sicherlich ein "Talent", wenn man es mit seinen Mitmenschen vergleicht, wie auch mit seinen übrigen, individuellen Fähigkeiten. Dennoch muss man festhalten, dass dies auf einen Fehler in seinem Inneren zurückgeht, denn ich meine mich zu erinneren, dass dies auf fehlende "Schlucktüren" zurückzuführen ist - der genaue Begriff für diesen anatomischen Teil des Menschen ist mir nicht geläufig. Soll heißen: der Kerl konnte bei Bedarf alles schlucken und zugleich ausspucken. Diese "Türen" sind eigentlich dazu da, damit ein Mensch nicht (während des Schlafens) an seinen eigenen Nahrungsmitteln erstickt.
Ist dies noch immer ein Talent? Oder muss ein Talent auf eine spezielle Ausprägung einer Fähigkeit zurückzuführen sein, die jedem zugänglich ist? Letzterem stimme ich eher zu und spreche mich bei dem Typen dafür aus, dass er eher eine Art "Gabe" hat - ohne allerdings nun einen religiösen Hintergrund damit zu assoziieren. Es ist also ein genetischer Fehler, den er zu seinem Gunsten ausnutzen kann, was für mich aber fernab eines Talents ist - ebenso wenig wie Inselbegabung (wobei man hierbei differenzieren muss, aber dies nur am Rande). Darüber lässt sich aber sicherlich auch streiten, wie beispielsweise über meine Wahl des Begriffes "Gabe".
Ein Talent sehe ich also als eine besondere Ausprägung einer Fähigkeit, die jedem natürlich zugänglich ist - sei es beispielsweise das Talent des schnellen Kopfrechnens. Diese Definition ist für mich persönlich auch weitaus befriedigender, denn so weiß ich, dass ich selbst einen sehr talentierten Menschen mit meinem versteckten Potenzial und viel Training erreichen kann - und das begrüße ich sehr! Talent ist somit nicht unerreichbar, und auch keine Sache, auf die man stolz sein kann - es ist nur ein netter Bonus bzw. ein großzügiges Startkapital. Es zeugt eher von daraus resultierenden Stolz, was man aus diesem Talent alles rauszuholen weiß und wie man es trainiert, ebenso wie man effizient sein Startkapital nutzen/anlegen sollte, statt es seinen Wert verlieren zu lassen. Leistung statt Ausruhen auf dem Talent - und Kunst kann auch aus Leistung entstehen, nicht zwangsläufig nur aus Talent.
Und zum Abschluss nochmal:
Ich unterscheide deshalb die Begrifflichkeiten "Talent" und "Kunst", obschon beide aufeinander Einfluss nehmen können. Talente lassen sich trainieren, ebenso kann ich mich auf das Niveau des Talentierten bringen. Kunst kann ein Resultat dessen sein, muss es aber nicht, denn Kunst kann auch fernab von Talent entstehen.
Tränen sind ja auch nicht stets das Resultat von Trauer, auch wenn sie stets damit assoziiert werden - was allerdings auch naheliegend ist. Doch Trauer können Tränen bedingen, ebenso wie fremde Tränen uns zu Trauer führen können - doch hierbei sollte man stets das Modalverb "kann" verwenden ...