Du wirst deine Kinder nie wieder sehen
Vaterstetten: Vater (38) entführt seine Buben und droht der Mutter
Ihre ersten Gedanken gelten ihren Söhnen Amin (11) und Sofian (8). Morgen für Morgen. Seit neun unendlich langen Monaten. Auch am gestrigen Muttertag dachte Claudia Rajah aus Vaterstetten ständig an ihre geliebten Kinder. Die Erinnerung an sie ist das Einzige, was der 40-jährigen Mutter geblieben ist. Denn ihre kleinen Buben sind entführt worden. Vom eigenen Vater. Dies ist die Geschichte über den Schmerz einer Mutter, über ihre Ohnmacht und ihren verzweifelten Kampf gegen die Behörden.
Eine Geschichte mit der verzweifelten Bitte um Hilfe. Im März 1991 heiratet Claudia Mohamed Rajah, einen Tunesier. Sie ist mit dem Hotelbetriebswirt glücklich, bis dieser sich 2003 immer mehr dem Islam zuwendet. ?In extremistischer Weise?, wie Claudia mit Sorge beobachtet. Der 38- jährige lässt sich Bart und Haare wachsen, besucht regelmäßig eine Moschee in München, liest fundamentalistische Religionsbücher, betet fünfmal am Tag.
Und nimmt ihre beiden Söhne heimlich mit zur Koranschule. Die Ehe kriselt. Der ehemalige Arbeitgeber ihres Mannes warnt Claudia, Mohamed könnte ihre Buben entführen. ?Sein Chef hatte mir gesagt, ich solle die Kinder lieber nicht mit dem Vater in die Sommerferien fahren lassen.? Aus Sorge beantragt die gelernte Floristin im Juli 2005 eine einstweilige Verfügung gegen die Ausreise der Kinder aus Deutschland. Doch dann einigen sich die bereits getrennt lebenden Eheleute vor dem Amtsgericht Ebersberg, dass der Vater die Kinder für vier Wochen mit nach Tunesien nehmen darf.
Denn Mohamed gibt eine eidesstattliche Versicherung ab, in der er sich verpflichtet, die Kinder wieder zurückzubringen. Zur Verhandlung kommt der 38-Jährige übrigens glattrasiert und mit kurzen Haaren. Und er erklärt: ?Es ist absurd, wenn mir meine Frau unterstellt, ich würde meine Kinder nach Tunesien entführen.? Keine zwei Wochen nach der Abreise erhält Claudia eine Vorladung zur Scheidungsverhandlung vor einem tunesischen Familiengericht. Anfang September reist die Mutter nach Tunis und beantragt das alleinige Sorgerecht. Sie sieht ihre Söhne nur kurz, dann zerrt sie der Vater mit sich.
Beim nächsten Gerichtstermin in Tunis erkennt ihr das Gericht schließlich das Sorgerecht zu. Die Kinder bekommt Claudia Rajah dennoch nicht. Denn Mohamed hat das Land mit seinen Söhnen Richtung Kairo verlassen. Von dort geht?s in den Golfstaat Katar. Claudia ist verzweifelt: ?Warum hilft mir niemand, meine Kinder zu finden??, denkt sie immer wieder. Die Mutter reist ebenfalls nach Katar, nimmt sich einen Anwalt.
Der stellt vor dem Schariagericht einen Antrag auf Herausgabe der Kinder. Vergebens. Die Richter machen klar: Nach islamischem Recht hat die Mutter keine Chance, da laut Scharia allein der Vater für die Erziehung der Buben zuständig ist. Die Gedanken zermürben die Frau aus Vaterstetten immer mehr: ?Wie geht es meinen Kindern? Leben sie überhaupt noch?? Mohamed flieht mit den Söhnen in islamische Länder, da ihm dortige Gesetz quasi freies Geleit zusichert. Denn ab dem 7. Lebensjahr sind allein die Väter für die Kinder verantwortlich. Da interessieren auch zwei Urteile nicht, die der Mutter das Sorgerecht zugesprochen haben.
Claudia Rajah versucht, ihrem Mann zu folgen und per Anwalt die Kinder zurückzubekommen. Ihr Arbeitgeber, das Gartencenter Urgibl in Eglharting, stellt sie für die Suche frei. ?Dafür bin ich unendlich dankbar, auch meinen Kollegen.? Ohne die finanzielle Unterstützung der Familie und Freunde hätte die Mutter es nicht geschafft. Die Suche nach ihren Söhnen, die Anwälte ? 60 000 Euro hat sie schon dafür ausgegeben. Mittlerweile erlässt die Münchner Staatsanwaltschaft Haftbefehl gegen Mohamed Rajah, der auch in arabischen Ländern Gültigkeit besitzt. Doch der Haftbefehl bringt nichts. Denn in Katar ist Kindesentziehung durch den Vater nicht strafbar.
Claudia kämpft weiter: ?Das Auswärtige Amt hat mir nahe gelegt, auch in Katar vor Gericht zu ziehen.? Sie versucht?s, ruft in Katar 200 Schulen an, spricht mit der deutschen und der tunesischen Vertretung, Interpol und Migrationsbehörden. Vergebens. Von ihrem Mann erhält sie eine E-Mail: ?Du wirst deine Kinder auch nach meinem Tod nie wieder sehen.? Ende April reist Claudia erneut nach Tunesien. Über das Auswärtige Amt hat sie erfahren, dass sich ihre Kinder in Saudi Arabien aufhalten könnten.
Vor einer Woche kehrt die Mutter wieder zurück. Allein. Wie gern hätte sie ihren Sohn Amin zu seinem 11. Geburtstag am 1. Mai in die Arme geschlossen. Obwohl Claudia Rajah mittlerweile sowohl von einem deutschen als auch von einem tunesischen Gericht das alleinige Sorgerecht für Amin und Sofian zugesprochen bekam, weiß sie nicht, ob sie ihre Kinder je wiedersehen wird. Aufgeben will sie nicht. ?Auch wenn ich keine Kraft mehr habe.?
Deshalb gibt sie in einer Zeitung eine große Annonce auf: Ähnlich einer Todesanzeige sind die Namen ihrer Buben und das Geburtstdatum genannt, darunter erklärt die Mutter: ?Auch wenn sich Eure Spur und die Eures Vaters seit dem 27.8.2005 aus Tunesien (...) verliert, werden wir als ,Ungläubige Christen? den Kampf um euch Kinder nicht aufgeben.? Neun Monate werden Amin und Sofian von ihrem Vater nun schon durch die arabische Welt geschleift.
Die Buben gehen nicht zur Schule, mussten Mutter, Freunde und Heimat zurücklassen. Wie leben sie? Was fühlen die kleinen Kinderseelen? ?Vielleicht erzählt ihnen mein Mann, eure Mutter will euch nicht mehr. Vielleicht bin ich für sie auch gestorben?? Claudia Rajah setzt sie ihre letzte Hoffnung in die Politik. ?Rechtlich hab ich keine Chance. Ich bitte deshalb alle Verantwortlichen inständig um Hilfe: Setzen Sie sich für meine Kinder ein ? und für die vielen anderen, die ebenfalls entführt worden sind.?