It's a game about punching people.
Dieses Review ist am besten lesbar, wenn zeitgleich der Credits Song des Spiels läuft, der für sich genommen schon ein Grund ist, es zu kaufen und durchzuspielen. Er erklärt auch die ganze Story. So ziemlich. Auch sonst ist der Soundtrack extrem lecker. Aber first things first. Es geht um ein Spiel. Für die PS2. Wer nur eine nicht abwärtskompatible PS3 besitzt, kann sich das Ding auch im PS Store für 'n paar Euro runterladen. Wer keine dieser beiden Konsolen besitzt, zieht halt für ein paar Wochen bei Freunden und Bekannten ein, die eine besitzen und zockt's dort. Ihr seht also, es gibt keine rationale Entschuldigung dafür, dieses Spiel nicht gespielt zu haben. Und nun viel Spaß beim Hauptfilm.
Der Name Clover Studios dürfte den meisten Leuten ein Begriff sein. Dieses Team hat solche Perlen wie Ôkami und Viewtiful Joe ausgetüftelt. Nach einigen Jahren gingen sie aufgrund schlechter Verkaufszahlen pleite und formierten sich mit leichten personellen Veränderungen als Platinum Games neu, in dieser Besetzung entstanden u.a. MadWorld und der Überraschungshit Bayonetta. So viel zu den üblichen Verdächtigen. Unter der Regie von Shinji Mikami (u.a. Resident Evil) entstand im Jahre 2006, kurz vor dem finanziellen Aus, ein sehr eigenwilliges Spiel, welches u.a. von einer hoffnungslos überbewerteten Scheißseite dem renommierten Gaming-Portal IGN in der Luft zerrissen wurde und auch ansonsten völlig unterging: Miese Grafik, miese Dialoge, monotones Gameplay, viel zu schwer. So die Kritikpunkte. So weit, so größtenteils falsch.
Optisch ist das Spiel für PS2-Standards in Ordnung, die Charaktermodelle sind hübsch und bewegen sich dank Motion Capture flüssig. Die Level hingegen sind unspektakulär designt und voller Clipping-Fehler (lies: man kann durch fast jede Wand 'hindurchsehen'). Was egal ist, da es hier nicht um hübsche Grafik geht. Hier mal durch eine Tür gehen, dort mal eine Treppe hoch, Auswahl zwischen mehreren Wegen gibt es quasi nicht. Es ist linear. Es hat keine Rätsel. Alles, was man zum Beenden einer Stage benötigt, bekommt man durch das Besiegen der Gegner. Es hat auch nicht viel Story. Kurz gefasst: Gene, ein junger Kampfsportler, ist unterwegs durch die Welt, will in einem kleinen Dorf eine attraktive Frau vor einer Bande von Ganoven beschützen und bekommt von ebenjenen Spitzbuben einen seiner Arme abgetrennt. Aua! Da trifft es sich gut, dass die Dame rein zufällig eine der letzten Überlebenden eines alten Clans ist, der die Aufgabe hat, die mit göttlicher Macht versehenen Arme eines legendären Helden zu beschützen, der damit einst den großen Dämon Angra zurück in die Unterwelt prügelte. Einen dieser beiden Arme hat sie bei sich und überlässt ihn Gene, der damit prompt zum auserwählten Helden wird und sich ab diesem Punkt durch verschiedene Stages kloppt, um... eh, ja, warum eigentlich? Na vielleicht um einfach 'ne verdammt geile Zeit beim Verdreschen irgendwelcher Typen zu haben! Ist doch ein guter Grund! Abgesehen davon ist die gesamte Dämonenwelt (inklusive diverser hinterhältiger Handlanger) hinter seiner coolen neuen Hand her UND MAN WIRD SICH JA WOHL NOCH WEHREN DÜRFEN VERDAMMT.
God Hand nimmt sich selbst in keinster Weise ernst und die Geschichte ist im Grunde Nebensache. Der Kern des Spiels ist sein nahezu makelloses Gameplay. Wer die alten Prügelspiele der Marke Final Fight und Streets of Rage kennt, der kann ungefähr erahnen, was God Hand auffährt. Auf dem Weg durch das Level kommen Gene immer wieder Gegner entgegen (oder warten tanzend auf seine Ankunft). Es gibt keine Möglichkeit zu blocken, man kann lediglich durch Backlips oder Sidesteps ausweichen. Dies macht den Kampf unheimlich anspruchsvoll, aber auch spaßig. Zumal es gleich zwei Möglichkeiten gibt, mächtige Spezialangriffe auszulösen: Erst einmal wäre da das Roulette Wheel, welches das Spielgeschehen kurzzeitig stark verlangsamt und euch so die Möglichkeit gibt, aus einem Menü eine mächtige Attacke auszulösen, die den Gegnern heftig zusetzt. Andererseits hätten wir da noch die göttliche Hand selbst, die praktisch als euer Limit Break fungiert. Ist nämlich eure Leiste gefüllt, könnt ihr jederzeit eure Power entfesseln und so kurzzeitig unverwundbar auf eure Feinde einthrashen. Und garantiert werdet ihr diese Skills brauchen, denn kein Gegner ist harmlos, jede Unaufmerksamkeit wird bestraft, ebenso jedes Buttonmashing. Man kämpft sich mittels dieser Formel durch verlasse Städte, Bergwerke, Wüsten, mobile Festungen, einen Freizeitpark und so weiter und so fort. Die Gegnervielfalt ist hierbei durchaus beachtenswert, denn jeder Abschnitt hält seine ganz speziellen Feinde bereit (die teilweise Fähigkeiten vorheriger Gegner kopieren, aber auch immer etwa Neues zu bieten haben). Um in den insgesamt acht Stages Abwechslung zu gewährleisten, kann sich der Spieler sein Moveset selbst zusammenstellen. Gefundene oder im Shop gekaufte Angriffe/Combos lassen sich frei kombinieren und ermöglichen so das Erarbeiten eines ganz eigenen Kampfstils. Toll, oder? Das Geld für diese und andere kostspielige Upgrades (wie z.B. mehr HP, mehr Roulette Wheel-Techniken, mehr GodHand-Power) bekommt ihr einerseits als Belohnung am Levelende (je nachdem, wie viele Continues ihr gebraucht habt und wie euer durchschnittlicher Lv. war r- dazu komme ich weiter unten noch), könnt aber weiterhin auch im Casino bei Poker, Blackjack & an der Slot Machine euer Glück probieren. Oder ihr stellt euch der EXTREME FIGHTING-Arena, die euch mit insgesamt 51 knallharten Challenges konfrontiert, in denen eure Fähigkeiten unter speziellen Bedingungen zunehmend auf die Probe gestellt werden.
God Hand ist vor allem eines: Es ist fair. Denn die anfängliche Auswahl des Schwierigkeitsgrads (Easy, Normal, später Hard) ist sehr relativ, tatsächlich wird nämlich vom Spieler selbst bestimmt, wie knifflig das Spiel ist. Das dynamische System passt sich den eigenen Fähigkeiten formidabel an: Man beginnt auf Lv. 1, was die AI der Feinde deutlich reduziert und sie harmlos erscheinen lässt: Sie blocken seltener, sie kontern nicht, sie greifen seltener an. Schlägt man sich gut (no pun intended), schraubt das Spiel auf Lv. 2 hoch und die Gegner verhalten sich intelligenter & gefährlicher. Wird man dadurch von einem Gegner jedoch hoffnungslos durch die Gegend gehauen, fährt das Spiel wieder auf Lv. 1 herunter. Es gibt auch noch Lv. 3 und einen vierten namens Lv. DIE. Letzterer ist übrigens voreingestellt, wenn man sich entschließen sollte, God Hand auf Hard durchspielen zu wollen. Es ist die Hölle. Aber wie gesagt: Fair. Wenn man verdroschen wird, liegt es daran, dass man schlecht spielt. Man hat alle Möglichkeiten, um den Gegner zu besiegen. Man muss sie nur nutzen. Dieses Spiel zum ersten Mal durchzuspielen ist eine kleine Tortur, denn selbst auf Easy werden diverse normale Gegnergruppen und manche Zwischenbosse das eine oder andere GAME OVER auf den Bildschirm zaubern. Zum Glück sind die Checkpoints aber großzügig verteilt und, da Sterben hier keine Schande ist, gibt es unendlich viele Continues.
Nun, soweit klingt das ja schon mal ganz putzig, nicht wahr? Aber auch irgendwie knifflig. Aber was bringt einen also dazu, hier nach dem x-ten Bildschirmtod nicht das Gamepad in den Fernseher zu schleudern? Schlicht und einfach: Der Humor! Den teilweise extrem skurrilen Feinden der 2D-Prügel-Ära wird hier hemmungslos Tribut gezollt. Von kleinwüchsigen Power Ranger-Verschnitten über hochgradig homosexuelle Wrestler bis hin zu Gorillas im Wrestling-Outfit, schlagkräftigen Afro-Pimps und aus Toten auferstehenden Kreaturen der Hölle haut man allen nur erdenklichen Wesenheiten volle Kanne aufs Maul, was zusammen mit den herrlich billig geschriebenen Dialogen und Gags (sowohl in Zwischensequenzen als auch in-game) ein wahnsinnig unterhaltsames Ganzes ergibt. Hinter jeder Ecke könnte der nächste obskure Feind lauern und man freut sich bereits auf ihn. Oder auf sie. Oder auf es. Hauptsache man kann draufhauen und es lustig finden. Und dabei sterben. Die Hauptcharaktere sind nicht minder seltsam: Genes Begleiterin Olivia hat die Angwohnheit, ihn ständig mit ihrer Axt zu bedrohen, wenn er mal wieder keine Lust auf den nächsten Level hat, das Antagonisten-Trio der Unterweltler besteht aus einem teuflischen Typen mit schlechtem Geschmack in Sachen Anzüge, einer launischen Sadamaso-Dämonin und einem dicken rauchenden Mexikaner... oh, und natürlich gibt es mit Azel auch eine Art 'Dark Gene', der die andere göttliche Hand besitzt und sie zur Devil Hand gemacht hat, da er nach der Macht des Bösen strebt (im Grunde ein Asschild von Wesker aus RE und Vergil aus DMC). Am Ende bekämpft man selbstverständlich auch noch den wiederbelebten Angra, der aussieht wie der Balrog aus Lord of the Rings, Abspann, Ende. Keine Überraschungen im Plot. Einfach nur pure fuckin' gameplay. Denn God Hand ist ein Titel, der nach dem ersten Durchspielen (auf Easy oder Normal dauert dies etwa 10 - 14 Stunden) erst richtig anfängt. Wem das normale Spiel also zu luschig ist, der kann sich an den Bonus-Challenges probieren, den Lv. DIE-Hard Mode herausfordern oder sich dem Kick Me Run stellen (Durchspielen ohne Roulette Wheel und God Hand-Kräfte). Die Möglichkeiten sind vielfältig und da man mehrmals pro Level auf der World Map zwischenspeichern kann, kommt es auch fast nie dazu, dass man längere Passagen noch einmal spielen muss.
Wer es also an meinen bisherigen Ausführungen noch nicht erkannt hat, der erfährt es spätestens jetzt: Ich lege dieses Spiel hiermit jedem Gamer ans Herz, der sich knackig schwere Prügelorgien und albernen Humor gefallen lässt. Abgesehen von einigen bisweilen nervenden Zufallsfaktoren (Itemdrops, Erscheinen der Dämonen), die den Spieler leicht auf dem falschen Fuß erwischen können, hat dieses Spiel keinerlei Schwächen und macht immer mehr Spaß, je länger man es spielt. Man muss nur seinen Stolz über Bord werfen können und sich dafür bereit machen, immer und immer wieder auf die Bretter geschickt zu werden und ausgiebig von der Continue-Funktion Gebrauch zu machen. Ja, mir fiel es auch schwer und es tat zu Anfang sehr sehr weh. Aber man gewöhnt sich dran. Und irgendwann wird man sogar besser! Und fühlt sich nach jedem Abschnitt, den man ohne größere Blessuren und mit einer guten Taktik überstanden hat, wie der absolute King im Ring. Wer den ersten Teil von No More Heroes gespielt hat, wird zudem in Genes Kampfstil sicherlich eine gewisse Verwandte von Travis Touchdown wiedererkennen, die vom God Hand-Protagonisten inspiriert wurde. Prädikat: Besonders geil.
Kaufempfehlung!
Weiterführende Links:]
God Hand Retrospective
God Hand on Hardcore Gaming 101
Games IGN Ruined: God Hand Edition
God Hand - This is way we can't have nice things
God Hand on TVTropes
Let's Play God Hand! - by Kung Fu Jesus
Dragon Kick Your Ass into the Milky Way.