Im Grunde gibst du genau das wieder, was ich meine und merkst es nicht. Du sagst die Medien verzerren. Der Meinung bin ich auch. Du erkennst aber den Fortschritt nicht, obwohl er direkt vor deiner Nase liegt. Insofern liegt genau darin ein Problem deiner Wahrnehmung, ob nun durch Medien verursacht, oder was auch sonst.
Du sprichst von Ägypten und dem, was man 3. Welt nennt und schließt daraus, weil es das (noch) gibt, haben wir keinerlei Fortschritte gemacht. Da sage ich, als jemand der Altertumswissenschaften studiert hat und Zeiträume betrachtet, die dein Leben um ein Vielfaches übersteigen, du hast Unrecht. Vor hundert Jahren nur sah es gerade hier, wo du und ich wohnen, nicht viel anders aus, als heute in der sog. 3. Welt. Das meinte ich mit dem hier:
Zitat
Original von Lacron
Auch wenn es vielen Menschen an etwas mangelt, so wächst die Menschheit insgesamt immer noch und den Mangel gab es früher auch, nur betraf er Annodazumal eben die gesamte Menschheit. Es hat nie einer gesagt, dass sich die Probleme mit einem Fingerschnippsen lösen ließen.
Ich will mit Sicherheit nicht gut heißen, wie sich so manches entwickelt hat, aber diese völlige Leugnung jedweder Veränderung, wo sie doch direkt vor unserer Nase ist, erscheint mir eben als recht eigenartig.
Du sprichst Naturkatastrophen an, die immer wieder abwechselnd in unseren Fokus durch die mediale Übermacht gelangen. Wie schon gesagt, die gab es früher auch. Man denke an die "Große Manntränke", an den Vesuvausbruch (u.v.m.), zahllose Erdbeben (wie Shaanxi im 16. Jahrhundert) und eine schier unendliche Liste namenloser Ereignisse. Im Unterschied zu heute, waren das regional begrenzte Ereignisse, von denen man im Rest der Welt erst viel später, wenn überhaupt jemals, erfuhr. Das bedeutet aber auch, dass Hilfeleistungen früher sehr begrenzt möglich waren und die Leute der Katastrophenregion in den meisten Fällen auf sich gestellt waren und es auch blieben. Heutzutage sorgt mediale Aufmerksamkeit dafür, dass die verschonten Regionen der Welt davon erfahren und man (also auch jeder von uns) helfen kann. Das THW und viele Hilfskräfte reisen an, bergen, bauen auf, helfen vor Ort. Zahlreiche Spender unterstützen mit finanziellen Mitteln usw.. Noch vor 100 Jahren war das alles absolut unmöglich. Brach eine Pest oder andere Seuche aus, erfuhr man davon, wenn sie sich bis in die eigene Stadt ausgebreitet hatte und es zu spät war, ward ein Gebiet durch eine Naturkatastrophe vernichtet, merkte man es, wenn die Handelswaren von dort ausblieben ...
Kritikwürdig ist vieleicht durchaus das mediale Treiben, welches "schnell vergisst" und sich rasch der nächsten Bedrohung zuwendet, ohne sich zu erinnern. Aber andererseits ist es vielleicht gar nicht mal deren Aufgabe, denn erinnern können wir uns doch selbst. Wir behaupten doch von uns gebildete, denkende und logische Wesen zu sein. Es ist an uns, die Erinnerung wach zu halten und sich auch noch um Dinge zu kümmern, die etwas zurück liegen. Doch nur allzu leicht wollen wir vielleicht abgelenkt und ständig mit der neuen Schlagzeile überrascht und stimuliert werden. Jeder Einzelne von uns ist aber doch selbst verantwortlich, um die Informationen zu verarbeiten, Unnützes auszusortieren, nützliche Dinge zu speichern und auch in Zukunft weiter zu nutzen. Sprich, wenn die Medien ihrer Aufgabe (die nun mal im Berichten aktuellen Geschehens liegt) nachkommen und ihren Fokus dann weiterwandern lassen, ist es an uns, das Erfahrene dennoch weiter zu verwenden, sich auch weiter zu kümmern. Sprich sie reichen uns nur den Staffelstab, wir müssen ihn aber auch vorantragen.
Du sagst, wir sehen Bilder von Chaos, Zerstörung, Kriegen und Leid. Den gab es aber auch schon zuvor, nur nahm man das nicht wahr, weil es u. U. weit weg geschah und eben keine Möglichkeit bestand den öffentlichen Fokus darauf zu richten. Der Feind des Unrechts und der Verbrechen ist die Aufmerksamkeit. Vorbei die Zeit in der Völker behaupten konnten, sie hätten nichts von dem gewusst, was die Führenden oder ihre Regime tun. Vorbei die Zeit, in der Krieg und Völkermorde etwas war, dass anderswo stattfand oder im Verborgenen bleibt. Öffentliche Empörung übt Druck aus und das geschah immer wieder, seit es Massenmedien gibt. Natürlich ändert sich nicht alles über Nacht und das menschliche Wesen und Streben nicht in wenigen Jahrzehnten. Dennoch wurden Fortschritte erreicht und so manche Untat gestoppt, wenn nur genug Menschen hinsahen, sogar Regierungen durch so etwas gezwungen ihren Kurs zu ändern. Sobald jedoch alle wieder wegsehen, oder gar nicht erst hinsehen, da blüht Unrecht auf. Insofern sind hier Medien gefragt und von Nöten, Teil des Wandlungs- und Entwicklungsprozesses, der Umerziehung einer ganzen Spezies namens Mensch.
Mir fällt da immer wieder ein, was wir damals quasi im Fernsehen miterlebten, Ruanda 1994. Zunächst gab es kaum Berichte über die Ereignisse und in der Zeit gab es die schlimmst Auswüchse, wie man im Nachhinein erfuhr. Erst als die Medien ihren Fokus auf die Flüchtlingsströme in den Nachbarländern richteten, gab es öffentlichen Druck auch in unserer westlichen Welt und unsere Regierungen sahen sich gezwungen jetzt endlich zu handeln und Frankreich und Co. griffen stärker ein. Hätte niemand berichtet, wäre das Schlachten ungestört weitergegangen.
Die Kritikwürdigkeit m. E. liegt wieder darin, dass zu früh weggesehen wird, oder wir alle uns zu schnell abwenden und ablenken lassen. Sind die Medien daran schuld, oder wir selbst? Die Frage kann ich für mich auch nicht zufriedenstellend beantworten und jeder sollte sich da an die eigene Nase greifen.
Du sprichst Robbenjagd und diese Dinge an. Auch hier spielen die Medien eine Rolle. Stell dir die Frage, würde es diese nicht geben, wenn keiner darüber berichtet? Das aber berichtet wird und somit weltweit Menschen sich dafür zu interessieren beginnen, sich organisieren (im WWF und dergleichen), ist medialer Möglichkeiten geschuldet. Vor wenigen Jahrzehnten hat niemand was von den großen Schlachtungen erfahren, allenfalls als nette Abenteuerbeilage aus einem Jack London-Roman. Heute üben organisierte Gruppen durchaus Druck auf Regierungen aus und sorgen für Umdenken und Gesetze zum Artenschutz. Noch erreicht es nicht alle und der Druck ist nicht überall gleich groß (vielleicht aber auch, weil die mediale Aufklärung nicht übeall gleich gut ist?), dennoch gibt es ein Umdenken. Die Populationen so mancher Art, die vom Austerben bedroht war, hat sich stabilisiert oder nimmt nicht weiter ab. Ist das kein Fortschritt? Kannst du dich an die Schlagworte der 1980er erinnern, als uns allenorts erzählt wurde, der Wald in Deutschland stirbt aus und wir würden jetzt in entwaldeten Gebieten leben? Doch im Gegenteil sind die Waldflächen in Deutschland seitdem sogar gewachsen. Auch ein Fortschritt oder nicht? Erinnerst du dich noch an Smog über den Industrieanlagen und Städten in den 1980ern? Öffentlicher Druck und ein Umdenken der Gesellschaft, technologischer Fortschritt sorgten dafür, dass die Luft über Europa so sauber ist, wie schon seit hundert Jahren nicht mehr (sogar länger). Das wir überhaupt über regenerative Energien nachdenken und sie nutzen ist kein Fortschritt?
Auch Moral und Werteverfall wird gern in gewissen Medien propagiert. Ich selbst erlebe ihn jedoch nicht, also kann ich es nicht bestätigen. Jedoch sind Werte immer schon im Wandel gewesen. Früher galten andere Werte als heute. Frauen durften am politischen Leben nicht teilhaben und ihre Rolle in der Öffentlichkeit war klar begrenzt. Heute arbeite ich in einem Unternehmen und eine Frau ist "mein Boss". Vor hundert Jahren wäre so etwas unmoralisch gewesen. Wir machen heute Geldgeschäfte und es gibt die Möglichkeit für jeden etwas zu verleihen und auszuleihen. Es gab Zeiten da galt das als unmoralisch für gute Christen und allenfalls der "böse Geldjude" machte so etwas. Kindern steht heute Bildung, aber auch Zeit für ihr "Kindsein" zu und gilt geradezu als Grundrecht. Vor nicht allzu ferner Zeit waren Kinder nur "kleine Erwachsene" und es wurde erwartet, dass sie mitarbeiten, sobald sie laufen konnten.
Vor nicht allzulanger Zeit lebte ich auch in einem Staat, in dem ich heute mit Sicherheit nie die Möglichkeit hätte, meine Meinung frei sagen zu können, ebensowenig ihn zu verlassen und Länder jenseits des "Eisernen Vorhangs" zu besuchen und viele Freiheiten nicht hätte, die ich jetzt genießen kann. Du sagt es gäbe keinen Fortschritt? Ich war 1989 auf den Montagsdemos dabei (genauer gesagt, meine Eltern nahmen mich einfach mit), ihn mir und anderen unseres Volkes zu erkämpfen. Ich sehe da sehr deutlich Verbesserungen gegenüber meinem alten Lande. Es ist vielleicht nicht alles perfekt und manche herbe Enttäuschung kam hinzu, aber dennoch kann ich nicht leugnen, dass wir die (oder unsere) Welt ein stückweit verändert haben.
Natürlich ist die Entwicklung nicht abgeschlossen und nicht alle haben gleichermaßen Anteil an diesen Fortschritten. Dennoch gibt es ihn, nur sind wir hier so verwöhnt, dass einige von uns ihn anscheinend nicht mehr bemerken. Da sind wir wieder am Anfang. Niemand sagte, dass man die Welt rasch verändern kann. Das ist schade, aber dennoch kann und muss man es weiter versuchen. Du behauptest es wurde nie etwas verändert, es gab nie Fortschritt in unserer Entwicklung. Ich sage, doch! Sieh nur mal genauer hin und versuche außerdem Wege zu finden, ihn auch andernorts zu verbreiten! Das ist das einzige, was wir wirklich tun können und müssen. Still stehen, jammern und so tun, als gäbe es nichts, in Fatalismus zu verfallen, führt zum Stillstand und damit einem Ende dessen, was unsere Vorfahren versucht haben zu verbessern.