Zitat
Original von Jeanne
Ach, und bereth, ich glaube, du hast noch nicht viele historische Romane (über Frauen) gelesen, oder? Ich habe in ein paar hineingelesen und sie nach der ersten Seite wieder kopfschüttelnd zugeklappt, weil man von den Adjektiven wirklich erschlagen wird (letztes Beispiel, das mir untergekommen ist: "Die Tarotspielerin" von Marisa Brand, die ersten paar Seiten sind derart schlecht geschrieben und der Hauptfigur wollte ich beim Lesen nur noch ins Gesicht schlagen). Dagegen zählt "Die Päpstin" zu den harmlosen. xD
Verflucht, so kann man sich irren ... ich revidiere: "Die Tarotspielerin" von Marisa Brand hat mir weitaus besser gefallen.
Wie kam's zu einem solchen Sinneswandel? Meine Mutter hat sich kürzlich die Fortsetzung "Das Vermächtnis der Tarotspielerin" gekauft. Aus Interesse wollte ich einmal kurz hineinlesen, um zu sehen, ob sich der Stil verbessert hat - und plötzlich konnte ich nicht mehr aufhören. Da ich es jedoch doof fand, weiterzulesen, ohne das Prequel zu kennen, habe ich "Die Tarotspielerin", die ich damals nach einigen Seiten als nicht besonders gut verurteilt und zur Seite gelegt hatte, trotz allem nochmals zur Hand genommen ...
... und wollte und konnte sie dieses Mal dagegen kaum mehr weglegen. Ein paar Stunden, hauptsächlich eine durchgemacht Nacht, hat es gedauert, bis ich durch gewesen bin. xD
Die Handlung spielt Ende der zwanziger Jahre des sechzehnten Jahrhunderts - folglich zur Zeit der Reformation -, Schauplätze sind Orte von Deutschland bis nach Spanien, insbesondere Köln und Santiago de Compostela. Im Zentrum steht die junge Kölner Kaufmannstochter Sidonia van Berck, die gemäß väterlicher Vereinbarungen den Ritter Adrian von Löwenstein heiraten soll, der zur Hälfte Spanier ist. Erwartungsvoll sieht sie der bevorstehenden Vermählung entgegen, wird nur Gutes von dem Ritter erzählt und sie träumt davon, endlich mehr von der Welt sehen zu können. Ihre Hoffnungen werden jedoch vom Inquisitor Aleander, dem Bruder Adrians, zerschlagen, er lockt sie in eine Falle und stürzt ihre Familie nahezu in den Untergang, um seine eigenen Interessen verfolgen zu können. Jetzt beginnt für Sidonia ein Kampf auf Leben und Tod, gemeinsam mit dem stummen Gauklermädchen Lunetta und dem spanischen Arzt und Übersetzer Gabriel bricht sie auf, den Ritter zu finden und die Wahrheit ans Licht zu bringen. Während die Reise entlang des Jakobsweges führt, warnen die Tarotkarten Lunettas vor dem Bevorstehendem, das viele Gefahren für sie alle bereithält ...
Man kann zwar sagen, es ist ein bisschen wie ein erwachsenes "Twilight" mit historischem Hintergrund für Hausfrauen. Der Schreibstil ist stellenweise blumig, mich hat beim ersten Lesen der (anfängliche) Schwall an Adjektiven gestört; ich kann nun nicht behaupten, ob ich mich mit der Zeit einfach daran gewöhnt habe oder ob es sich tatsächlich ändert. Zugleich ist die Handlung meistens vorhersehbar, mit meinen Vermutungen, was passieren wird, habe ich Recht behalten und das nicht etwa deswegen, weil ich den Anfang des zweiten Teils schon gekannt habe; einzig eine sehr wichtige Wendung habe ich in der Form gar nicht vorhergesehen (höchstens, dass in dieser Hinsicht noch irgendetwas sein muss, da es eine sehr vage Andeutung auf die Existenz, nicht den Inhalt des Geheimnisses gibt). Mit der Hauptfigur Sidonia bin ich anfänglich etwas auf Kriegsfuß gestanden, sie ist eine verzogene, neunzehnjährige Zicke, allerdings ist ihr Verhalten nachvollziehbar, da es ihr bis dahin im Leben immer gut gegangen ist, und mit den Ereignissen macht auch sie eine gravierende Veränderung durch. Sonst hat mich manchmal noch das Gefühl beschlichen, die Charaktere seien zu sehr als entweder gut oder böse skizziert und mit Klischees behaftet.
Was ich dem Buch aber keinesfalls absprechen kann und will, ist, dass es mich gefesselt hat. Trotz der genannten Makel hat mir das Lesen unheimlich Freude bereitet. Zugegeben, ich bin für dieses Genre ohnehin anfällig: Ich bevorzuge Geschichten, die im Mittelalter spielen - und ja, dieses hier spielt an der Schwelle zur Neuzeit -, deren Protagonist eine Frau ist und die eine nicht zu stark thematisierte Romanze beinhalten. Diese Punkte erfüllt "Die Tarotspielerin" voll und ganz.
Daneben hat mir die Figurenkonstellation gefallen, in welchen Verhältnissen und teils verwandtschaftlichen Beziehungen die Personen zueinander stehen und wie daraus wichtige Impulse für die Handlung erwachsen. Das ist nämlich in meinen Augen sehr interessant konstruiert. Selbiges gilt für das Spiel mit der Diskrepanz zwischen Leser- und Figurenwissen: Als Leser möchte man die Figuren nicht selten am Kragen packen und sie anbrüllen, wie sehr sie sich irren (unter anderem, was die gegenseitige Einschätzung betrifft). Das hat mich öfters derart beschäftigt, so dass ich unbedingt erfahren wollte, ob, wie und wann sich diese Irrtümer auflösen.
Liebesgeschichte und Figurenkonstellation
Besonders mitreißend war, dass Sidonia und Gabriel zwar Gefühle füreinander entwickeln, aber ihre Taten dem entweder gewollt oder scheinbar widersprechen. So sieht es lange für Gabriel danach aus, als ob Sidonia freiwillig Aleanders Geliebte ist, dabei weiß man als Leser von Anfang an, dass es zunächst auf einer Täuschung, anschließend auf Zwang beruht. Gabriel gibt sich Sidonia gegenüber dagegen immer kühl und überlegen, jedenfalls nimmt sie es so wahr (was erst mal ihr heißblütiges Temperament ziemlich in Wallung versetzt). Während sie ihm relativ bald ihre Gefühle gesteht - in einer denkbar ungünstigen Situation, kurz darauf kommt er scheinbar um -, bleibt es für sie weiter unklar, wie er zu ihr steht, seine Äußerungen scheinen ihr ablehnend.
Als Leser weiß man längst, dass es anders ist und ich habe sehnsüchtig darauf gewartet, dass es nicht bei dem einen Abschiedskuss vor seinem vermeintlichen Tod bleibt und sie sich endlich kriegen. Das tun sie am Ende nach verdammt vielen Hürden, was mich gefreut hat. Adrian, der sehr spät im Buch wieder auftaucht, löst die Ehe mit Sidonia, zumal er seiner eigentlichen Liebe und heimlichen Ehefrau nachtrauert - Mariflores. Sie ist von Aleander in Adrians Abwesenheit als Hexe verbrannt worden, Gabriels Schwester und die Mutter Lunettas (die auch Adrians Tochter ist, ja).
Außerdem habe ich die Figuren lieb gewonnen, selbst Sidonia ist mir schließlich sympathisch geworden, obwohl meine Favoriten nach wie vor Gabriel und Goswin bleiben - letzterer ist ein Stadtsoldat, der mich mit seiner Art, seinem Sinn für Recht und Ordnung und den gelegentlich ungeschickten Aktionen an eine wohlbekannte Figur aus unserem Rollenspiel hier erinnert hat. xD
Überhaupt, mir sind einige Parallelen zu eigenen Ideen und Geschichten aufgefallen, die das Buch für mich natürlich noch interessanter gemacht haben.
Die vorhin genannten Kritikpunkte relativieren sich teilweise auch, vor allem die Charaktere bleiben nicht derart eindimensional wie anfangs angenommen, man erfährt durchaus, weshalb sie so sind wie sie nun mal sind. Ich habe richtig mitgefiebert, besonders ab dem Punkt, da die Reise dem Jakobsweg folgt, wird es noch fesselnder, mitgefühlt - und mitgelacht.
Lustiger Moment
Es ist womöglich dämlich, doch da musste ich fürchterlich lachen: Aleander diskutiert mit dem Bischof von Santiago de Compostela und Padre Fadrique - einem ebenso wichtigen Handlungsträger im Buch -, den er als Ketzer verurteilen und verbrennen will, ist dem Padre allerdings rhetorisch und intellektuell unterlegen; die Situation ist absolut ernst, es geht um viel, die Lehren der Kirchenväter werden thematisiert, als der Sekretär des Bischofs mitten im hitzigen Wortwechsel - Aleander ist kurz davor, angesichts seiner Unterlegenheit an die Decke zu gehen - für seine Mitschrift nachfragt, wie man Chrysostomos schreibt. Meine Güte, ich habe vor Lachen gebrüllt. So banal, aber wirkungsvoll. xD
Die Liebesgeschichte hat mir gleichfalls gefallen, obwohl sie mir erst klischeehaft vorgekommen ist. Manche Aspekte mögen das wohl sein; zumal mir gleich bei der ersten Begegnung der Figuren klar war, worauf es zwischen den beiden hinausläuft, insgesamt hat sie mich dennoch überzeugt.
Was soll ich sagen? Hohe Erwartungen darf man wahrscheinlich nicht an das Buch stellen. Wer so wie ich jedoch das besagte Genre mag, sich auf die Geschichte und die Figuren einlässt, die kleinen Macken nicht auf die Goldwaage legt und ein richtiges Happy End nicht ablehnt (zum Glück war mir danach, so etwas zu lesen, häufig mag ich es lieber tragisch), der kann köstliche Unterhaltung erwarten. Mit dieser Einschränkung kann ich das Buch empfehlen.
Und jetzt bin ich schon absolut hibbelig darauf, die Fortsetzung lesen zu können, die aktuell noch meine Mutter für sich beansprucht. Argh, ich will wissen, wie es weitergeht! Jetzt! Sofort! >.<