Zu Wyrule Harrior nur noch so viel: Gesellschaften und ihre Werte sind nichts festes, sondern einem steten Prozess der Veränderung unterzogen. Hierzulande mussten sich Frauen auch schon mal vergewaltigen lassen, wenn ihr Mann Sex wollte, sie aber keine Lust dazu hatten. Kinder durften bis vor nicht allzu langer Zeit geschlagen werden. Homosexuelle wurden ihrer Sexualität wegen strafrechtlich verfolgt. Abseits von FKK-Stränden darf ich in Deutschland auch nicht öffentlich nackt rumlaufen. Auf dem Oktoberfest werden jährlich Frauen vergewaltigt, und krankhaft hoher Alkoholkonsum ist unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen heute teils nicht nur akzeptiert, sondern fast schon gefordert. Und wie schon gesagt wurde: Unter langen Mänteln kann ich auch Sprengstoff und Waffen tragen, ohne, dass es jemand merkt. Der Teil deines ersten Textes war einfach paranoid. Nicht realistisch. Misantroph aber definitiv.
Oh, und obwohl das Christentum unsere Gesellschaft und ihre Werte sicherlich nachhaltig geprägt hat, würde ich Deutschland heute nicht mehr als besonders christliches Land bezeichnen. Bei diesen ganzen Atheisten und Heiden, die hier rumlaufen...
Zum Thema: Wie ich oben schon geschrieben habe: Kulturen wandeln sich. Ansichten wandeln sich. Bräuche wandeln sich. Manche bleiben lange bestehen, anderen wird nach und nach eine neue Bedeutung zugeschrieben. In manchen Kulturen ist das Kopftuch sicherlich ein Zeichen von Unterdrückung. Ich selbst kenne Menschen, die ein Kopftuch aus religiösen Gründen tragen, deren Geschwister dies aber z.B. nicht tun. Hier wurde eine freie Entscheidung für ein Kopftuch getroffen.
Und an der Stelle muss sich der gesunde Geist fragen, was dagegen spricht. Da ist ein Mensch, der sich ein Tuch um den Kopf wickelt und damit auch seine Religiösität zum Ausdruck bringt. Die Religion muss mir nicht gefallen, aber solange die Person sie aus freien Stücken auf diese Art nach außen trägt, ist das in Ordnung. Niemandem wird etwas angetan.
Wenn eine Person nun zum tragen eines Kopftuches gezwungen wird, ist das natürlich eine andere Sache. Aber was bewirken wir dann durch ein Kopftuchverbot? Dass erwachsene Frauen gar nicht mehr aus dem Haus dürfen, wenn ihr Mann derart eingestellt ist? Dass sie es vielleicht nicht wollen, weil sie sich -wie oben beschrieben wurde- als nackt empfinden?
Hat jemand eine starke Blinddarmentzündung, und ich gebe ihm Schmerzmittel, verschwinden vielleicht die Symptome. Das eigentliche Problem bleibt. Und da hilft letztendlich nur, irgendwie in entsprechende Hotspots/ Getthos/ whatever hineinzukommen, tatsächlich unterdrückte Frauen zu erreichen und ihnen Mut zu machen, sich Hilfe zu holen. Ein Verbot hilft niemandem, weil es die Unterdrückung zugrunde liegenden Einstellungen nicht ändert und nur diejenigen bestraft, die ihre Religion gerne und friedlich ausleben möchten, während es die Situation anderer vielleicht noch verschlimmert.
Selbes gilt für die Burka. Es wurde angesprochen, dass man einen Menschen hier nicht erkennen kann. Und das macht Angst. Das kann ich verstehen. Und es ist der einzige Unterschied zum Kopftuch.
Ich habe auch Angst vor leicht übergewichtigen, recht stark behaarten Männern mit diversen Piercings, Tattoos und in schwarzen Lederjacken. Vor allem, wenn sie Motorräder haben. Ich will aber weder ein Tattooverbot, noch eines für Piercings oder Lederjacken, und auch nicht für diese Combo von Merkmalen. Wenn einer davon ein netter Typ ist, schränke ich ihn grundlos ein. Und wenn einer davon ein brutaler Schläger ist, raubt er mich auch im Nadelstreifenanzug aus. Und dann müsste ich Nadelstreifenanzüge verbieten...
An der Stelle, an der wir Angst bekommen, sind wir einfach wieder als denkende Wesen gefragt: Ist unsere Angst berechtigt? Hat diese Frau einen Grund, mich umzubringen, und die gesamte Fleischtheke mit ins Jenseits zu reißen? Oder gründet diese Angst nur auf Vorurteilen, die ich über eine Kultur habe, mit der ich mich kaum auskenne und die derart viele Facetten hat, dass es von außen gar nicht möglich ist zu erkennen, welche Einstellungen und Absichten die Person vor mir jetzt hat?
Neben all dem bleibt mein Hauptargument aber: Kulturen sind nicht starr, sondern wandeln sich. Und in Rückbezug auf meinen Punkt mit dem krankhaften Alkoholkonsum in diesem Land denke ich, dass wir von einer religiösen Kultur, die Alkoholkonsum ablehnt, durchaus noch etwas lernen können.