Einkommensschichten

  • Habe heute für die mündliche Abiturprüfung geübt und bin in meinem Schülerbuch für Sozialwissenschaften auf Ungereimtheiten bezüglich der Grenzen der verschiedenen Einkommensschichten gestoßen. Zum einen wird angegeben, dass das durchschnittliche Haushaltseinkommens in Deutschland Netto circa knappe 2900€ pro Monat beträgt. Demnach wäre die "Oberschicht" um die 4300€ und die "Unterschicht" bei 2000€. Die Statistik ist aus dem Jahre 2008 und es wird nicht angegeben, wie groß nun ein solcher Haushalt ist. Wiederum eine andere Statistik aus dem selben Jahr besagt, dass die Mittelschicht bei allein lebenden Menschen im Bereich von 3500-1800 Brutto liegt. Das ist ein enormer Unterschied!


    Habt ihr verlässlichere Statistiken? Ich will, falls gefragt, in meiner Prüfung nicht mit scheinbar willkürlichen Zahlen um mich werfen. Und um eine Diskussionsrunde einzuleiten: Wie würdet ihr die Grenzen bestimmend und wo liegt/fühlt ihr in dieser Einteilung? Ist es rechtens, dass der Spitzensteuersatz schon ab dem 1,9 fachen Einkommen der durchschnittlichen Bevölkerung gefordert wird? 1960 wurde dieser erst ab dem 17 fachen gefordert und somit wäre scheinbar die heutige deutsche Mittelschicht extrem reicher als früher oder die heutigen reichen arm. Mir scheint, dass die Oberschicht in den meisten Statistiken viel zu früh angesetzt wird und die Mittelschicht breiter angesetzt werden sollte. Mit knappen 90k Brutto jährlich gehört man doch nicht der Oberschicht an, oder doch? Wie seht ihr das?

  • Für Statistiken empfehle ich einfach ganz einfach unser Statistisches Bundesamt. Ich habe die passende für das Thema Einkommen schon herausgesucht. Unterpunktete Begriffe sind anklickbar und werden im Glossar näher bestimmt. Allerdings kann ich mir vorstellen, dass die Erläuterung im Falle von "Haushalten" nicht befriedigend ist: Es handelt sich dabei um Einzelpersonen oder den Zusammenschluß mehrerer in Beziehung stehender Personen, deren Monatsnettoeinkommen nicht 18.000€ übersteigt. Somit sind sowohl der Single mit 8.500€, das Rentnerehepaar mit 2.500€ oder die zehnköpfige Großfamilie mit 4.000€ monatlichem Einkommen jeweils ein Haushalt. Man kann sich das Problem schon ganz leicht vorstellen: Das durchschnittliche Monatseinkommen sagt nichts über die Kaufkraft eines Haushaltes aus, da die Bezugsgröße Haushalt nicht homogen ist. Nun kann man zwar aus anderen Daten einen durchschnittlichen Haushalt approximieren, aber auch das ist statistisch nicht viel aussagekräftiger, da die Haushalte nicht homogen sind und die Größe des Haushaltes wiederum dessen Einkommen bestimmen kann, wobei sowohl positive als auch negative Korrelationen darauf einwirken. Wenn ich das kurz überschlage, besteht ein durchschnittlicher Haushalt aus 1,647 Erwachsenen und 0,386 minderjährigen Kindern. Diese Zahlen lassen sich dadurch erklären, dass es einerseits mehr kinderlose Singles und weniger klassische Familien mit Elternpaar und Kindern gibt, andererseits dass weniger minderjährige dafür aber mehr erwachsene Kinder bei einem Elter wohnen.
    Was nun die Einkommensverteilung und vor allem die Definition von Oberschicht ist, ist nun ein gänzlich anderes Thema. Zuerst: Dass die Oberschicht nicht mehr bei dem 17-fachen Einkommen anfängt, ist durchaus politisch gewollt; je niedriger dieser Faktor ist, desto eher kann man den Spitzensteuersatz verlangen. Und das liegt gerade im Interesse der linken und sozialen Parteien, die mit diesem Geld wiederrum ihr Klientel der Unterschicht bedienen möchten. Die Folge dessen war, dass die Mittelschicht von zwei Seiten aus beschnitten wird: Einerseits wird die Oberschicht immer größer (und dadurch ärmer), andererseits die Unterschicht immer reicher (->Sozialleistungen). Paradoxerweise kommen immer wieder Berichte auf, dass die soziale Ungerechtigkeit in Deutschland steige. Mit einem Ginikoeffizienten von 26 stehen wir aber im internationalen Vergleich recht gut dar. Trotzdem sind die relativen Grenzen relativ willkürlich und wenig aussagekräftig. Das möchte ich einmal am Beispiel der "Armutsgefährdung" näher liegen.
    In Deutschland wird Armutsgefährdung bestimmt, indem das Haushaltseinkommen über Gewichte in ein bedarfgewichtetes Äquivalenzeinkommen transformiert wird. Von diesen Daten wird der Median (nicht Mittelwert!) bestimmt und als Vergleichseinkommen genommen. Besitzt ein Haushalt weniger als 60% dieses (fiktiven) Wertes, gilt er als armutsgefährdet. Dieses Konstrukt klingt zwar eindrucksvoll, sagt aber leider gar nichts aus. Nehmen wir nur einmal an, es würde sich das Einkommen aller Haushalte verdoppeln, so änderte sich ceteris paribus die Armut nicht, obwohl sich ihre Kaufkraft deutlich erhöht hat. Die sogenannte Armut ist in dieser Form lediglich ein künstliches Maß für die Verteilung von Einkommen.
    Und selbst wenn man sich einmal regionale Unterschiede ansieht, kann man sich leicht vorstellen, dass relative Maßzahlen nichts über Armut und Reichtum aussagen: 1500€ mögen in München nicht viel sein, anders sähe das in Hoyerswerda aus. Ein wichtiger Faktor ist das regionale Preisniveau und da reicht schon ein Blick in den Mietenspiegel aus, um erhebliche Unterschiede in Deutschland feststellen zu können. Es wäre wirklich ein Fortschritt, wenn solche Faktoren in die Berechnungen einfließen würden...


    Was nun diese sich "widersprechenden" Einkommensspannen für die Mittelschicht angeht, lässt es sich relativ leicht mit den bedarfsgewichteten Äquivalenzeinkommen erklären. Ein Haushalt mit einer Person hat das Gewicht von 1. Wohnen in diesem Haushalt nun weitere Erwachsene, kommen jeweils 0,5 Punkte dazu; für Kinder unter 14 Jahren 0,3 Punkte. Das wird damit erklärt, dass sich Effizienzvorteile ergeben, wenn mehrere Personen zusammen wohnen: Ob nun nur eine oder drei Personen in einem Haushalt wohnen, reicht ein Badezimmer aus; für eine Vergrößerung des Haushaltes wird also nur eine unterproportionale Vergrößerung des Wohnraumes benötigt (und das überträgt sich auch viele Aspekte). Bestünde nun ein Haushalt aus zwei Erwachsenen und zwei Kindern, hätte er ein Äquivalenzgewicht von [1+0,5+2*0,3 =] 2,1. Er benötigt folglich das 2,1-fache eines Single-Haushaltes, um dasselbe Kaufkraftsniveau zu besitzen. Verwende ich jetzt meine oben geschätzten Zahlen für den durchschnittlichen Haushalt, komme ich auf ein Äquivalenzgewicht von [1+0,5*6,47+0,3*0,386 =] 1,439. Nehme ich nun die von dir angegebene Spanne von 1800€-3500€ für einen mittelständischen Single-Haushalt, benötigte mein Vergleichshaushalt für den Mittelstand 2590€-5036€. Und genau hier tritt die Verwirrung auf: Welcher Vergleichshaushalt wurde gewählt? 1E+1K [2340€-4550€], 2E [2700€-5250€] oder mein Vergleichshaushalt? Flossen in den Minimalwert [1800€] eventuell lokale Kaufkraften beispielsweise in Hinblick auf München ein?
    Um das ganze aufzulösen, empfehle ich einfach, wenn man Zahlen verwendet, diese zu definieren. Es ergeben sich schließlich vollkommen andere Ergebnisse, ob man nun die 10% der höchsten Einkünfte oder das Einkommen mit Maximalsteuersatz oder das x-fache des Durchschnittseinkommens als Referenzwert für Oberschicht nimmt: Jede dieser drei Grenzen ist willkürlich. Und es ließen sich auch noch weitere Definitionen finden (Vergleich zum Ausland; lokale Kaufkraft; staatlich festgelegter Oberschichtengrenzlohn;[...]), so dass sich eine eindeutige Antwort auch nicht finden lässt.


    Nun habe ich zwar nicht über meine eigene Meinung gesprochen, hoffe aber, die Problematik etwas klarer dargestellt zu haben.

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