Faust (2011)
Film-Rezension
Genre: Literatur /Kunstfilm
Regisseur: Alexander Sokurov
Erscheinungsdatum: 8. September 2011 (Filmfestspiele Venedig)
Als vierten und letzten Teil einer Tetralogie über Männlichkeit und die Macht des Bösen präsentiert der russische Filmemacher Alexander Sokurov seine ganz eigene Interpretation des Faust-Stoffes. Ich als bekennender Liebhaber des Originals wollte auf diesen Film partout nicht verzichten, wusste allerdings bereits im Voraus, dass hier nichts für schwache Nerven auf mich zukommt. Weitaus brachialer, weniger schöngeistig, sehr dreckig geht es hier zu. Der überstrapazierten Gelehrtentragödie widmet er sich gar nicht erst, sondern kommt direkt zum Thema Fleischeslust und Gretchentragödie.
Der Film geht direkt zu Beginn in die Vollen: Heinrich Faust schneidet Tote auf und untersucht ihre Organe, um zu sehen, was den Mensch im Innersten zusammenhält-- mal was anderes, könnte man meinen. Dazu gesellen sich ein dezent psychopathischer Wagner, der seinem Mentor um jeden Preis nacheifern will, ein körperlich entstellter Pfandleiher als Mephisto-Variation und ein Gretchen, die überraschenderweise kaum von ihrer Buchvorlage abweicht. Die Grundidee ist zunächst gut und scheint dem angestaubten Originalstoff ein bisschen frischen Wind zuführen zu können, doch die Umsetzung lässt zu wünschen übrig. Denn spätestens nach den ersten 30 Minuten verliert sich der Film leider in einem Wust aus kunstreichen Bildern, ziellosen Dialogen und einem sehr dünnen roten Faden.
Mein erster Hauptkritikpunkt ist die gesamte Machart: Kein Charakter in diesem Film hat so etwas wie Balancegefühl, alle stolpern wie Idioten durch die Stadt oder den Wald oder die Berge und sind ständig irgendwie in Körperkontakt, jeder tatscht jeden an oder kollidiert anderweitig mit ihm, ständige Nahaufnahmen der Personen. Es wirkt alles etwas wie der Zirkel der Wollust in Dantes Inferno, mit dem Unterschied, dass niemand Sex hat, sondern einfach alle Figuren desorientiert und dumm sind. Unterstützt wird dies durch die akustische Überforderung, welcher der Zuschauer ausgesetzt ist. Alle reden wirr durcheinander und gerade in Szenen ab vier Personen aufwärts werden all die Hintergrunddialoge, die nichts mit der mageren Handlung zu tun haben, sondern nur als weißes Rauschen gedacht sind, unendlich lästig. Und damit komme ich auch direkt zu Kritikpunkt Nummer Zwo:
Sokurov hat versucht, einen Film ohne wirkliche Moral, ohne nennenswerte Ereignisse und ohne ausgefeilte oder erinnerungswürdige Dialoge zu realisieren. Die Hauptaussage hinter all dem scheint nur: Lebe, wie du willst, am Ende stirbst du sowieso, Pakt mit dem Teufel hin oder her. Lose an das Originalwerk angelehnt, mit stark entfremdeten Variationen der ursprünglichen Szenen, in denen nichts Nennenswertes geschieht. Die Handlung nimmt an Fahrt gar nicht erst auf und abgesehen von den ereignislosen Dialogen sowie einigen peinlich aufdringlichen Bildmetaphern zu den Themen Blasphemie, Unschuld und Sexualität passiert nicht viel. Die diversen Zitate aus dem Originalwerk, die in die Gespräche einfließen, wirken lieblos und beliebig platziert, wie Fahrstuhlmusik. Dafür wirken wiederum die leisen Szenen so steril und steif, dass man die Darsteller bisweilen ohrfeigen möchte. Man wird von der Grundaussage in jeder Sekunde praktisch erschlagen und am Ende ist es nur noch langweilig, denn einen interessanten Schluss hat der Film leider nicht zu bieten-- er hört praktisch dort auf, wo er auch angefangen hat: Bei der ewigen und vergeblichen Suche nach dem tieferen Sinn.
Bisweilen prächtige Bilder und einige wirklich große Momente hat "Faust" sicherlich, es ist auch keine Zeitverschwendung sich ihn anzusehen, denn auf diese Art und Weise wurde der Faust-Stoff bisher noch nie umgesetzt. Dennoch kein Streifen, den ich mir noch einmal ansehen würde. Denn für einen Film, der so anstrengend anzuschauen ist, bietet er am Ende zu wenig Tiefe. Die guten Ansätze wurden für meine Begriffe kaum ausgeschöpft.
Wer auf optisch und visuell anstrengende Filme steht und keine gesonderte Hintergrundgeschichte braucht, sondern nur "wirken lassen" will, dem sei's mehr oder minder empfohlen. Mir persönlich hat er nicht so gut gefallen.
4 / 10