Nachdem ich flott eure Profile gestalkt hab, merke ich: Ich bin grad der älteste Poster im Thread, mit meinen knackigen 23 Jahren. :D
Zunächst mal ganz kurz: Die Lebensphase Jugend hat sich inzwischen recht stark ausgeweitet, sodass man bis um Mitte 20 als junger Erwachsener angesehen wird. Zwischen 25 und 30 erfolgt dann der allmähliche Übergang ins Erwachsenenalter.
Ausnahmen bestätigen die Regel, jeder Mensch und seine Entwicklung sind individuell, yadiyadiyada.
Ich möchte hier gar nicht lange mit Berichten über einzelne Punkte verbringen, sondern einfach nochmal zu bedenken geben, dass dieses Verhalten nicht einfach so entsteht. Die Menschen, die 10 Jahre später als ich geboren wurden, sind ja nicht allesamt dümmer. Warum ist einem jungen Menschen die Schule egal, obwohl er eigentlich in einer Lebensphase ist, in der er sich selbst auf verschiedenste Weise austesten und seine Interessen für sich entdecken sollte? Warum scheint ALG II / Hartz IV so eine tolle Alternative zum arbeiten zu sein?
Akii, du hast geschrieben, dass allein schon der Lohn für eine Arbeit motiviert. Das ist sicherlich richtig, ich möchte aber einen Schritt weitergehen: Arbeit hat in sich einen Wert. Wäre dem nicht so, würden weit mehr Menschen, die knapp über dem maximalen ALG II-Satz liegen, nicht zur Arbeit gehen. Zu arbeiten, Leistung zu erbringen, eine Aufgabe zu haben: Das erfüllt. Solange die Arbeit auf Dauer nicht einfach nur schlaucht.
Wenn Jugendliche (und ich gehe davon aus, dass wir hier über die sprechen, die vornehmlich an Hauptschulen anzutreffen sind) diesen Wert der Arbeit, diese Freude an der eigenen Leistung nicht verstehen, dann haben sie -so denke ich- niemals die Chance bekommen, sich damit vernünftig auseinanderzusetzen. Vielleicht hatten sie auch ständig Misserfolge. An die Hauptschule kommt man nicht, wenn man in fast jedem Fach Zweier und Einser hatte. Da kommt man hin, wenn man in den "Kopffächern" schlecht war. Nach der vierten Klasse wird man auf das soziale Abstellgleis rangiert. Wie das motivieren soll, erkläre mir bitte jemand.
Von Anfang an geht es bei uns in der Schule darum, eine vorher festgelegte Leistung zu erbringen, und wer die nicht erbringen kann, bleibt zurück. Raum zur individuellen Entfaltung bleibt da nicht. Und wer im Abi später seine Leistungskurse entsprechend wählt, darf weder Geschichte noch Politik als Nebenfach wählen. Das aber nur als kleiner Exkurs aus meinem persönlichen Erfahrungsschatz.
Dann müssen wir bedenken: Wie sieht es bei diesen Jugendlichen zu Hause aus? Vielleicht sind sie im familiären Umfeld ganz anders? Vielleicht verhalten sich manche Mitglieder einer Gruppe nur auf eine bestimmte Art, weil sie sonst keinen Anschluss zu finden meinen? Wie sind die Eltern? Müssen sie viel arbeiten? Oder leben sie das laxe Leben eines "Hartzers" vor?
Dann, wie schon angesprochen, die Jugendlichen um den einzelnen Jugendlichen herum, die Peers. Gruppendynamik ist einfach eine allgegenwärtige Macht, und wer meint, niemals von ihr beeinflusst worden zu sein, der lügt entweder, oder hat es einfach nicht bemerkt.
Was an der heutigen Jugendsprache so besonders schlimm sein soll, verstehe ich nicht. Töfte war auch mal ein ziemlich flippiges, ultra-hippes Wort, total cool und mondo awesome! Damals hat das zur Abgrenzung auch noch gereicht, und das ist der nächste Punkt: Abgrenzung. Jugendliche wollen sich nicht nur abgrenzen, sie müssen es sogar. Dafür ist die Lebensphase da. In einer Gesellschaft, die ihre frigide Sexualmoral abgelegt hat, "Fick dich!" ohne Scham im Abendprogramm sagt, "Blow my whistle" im Radio rauf und runter spielt, wie soll man da noch anstoßen? Das geht dann halt nur mit "Ey jo isch f**** deine Mutter hier im Gettho mit der Pumpgun"-Rap. Und den machen vor allem irgendwelche kleinen, gutbürgerlichen Möchtegern-Pimps, die aus den Jugendlichen das Taschengeld herauszupressen suchen. Die Zielgruppe ist ja da. Aner diese Texte sprechen die Jugendlichen an. Dass dem so ist, liegt aber wieder nicht daran, dass sie an sich dumm wären, sondern viel eher an ihren Lebensumständen und ihrem bisherigen Lebensweg.
Ich habe mal für ein paar Wochen in einem offenen Jugendtreff ein Praktikum gemacht, und dort mit Jugendlichen zu tun gehabt, die ich auf offener Straße niemals angesprochen hätte. Und das waren einfach junge Menschen, die -aus unterschiedlichsten Gründen- nichts anderes mit ihrer Zeit anzufangen wussten, als in diesen Jugendtreff zu gehen. Aber da hatten sie einen Raum, in dem sie angenommen wurden, in dem sie sich untereinander austauschen konnten und auch mit Erwachsenen (in Form von yours truly und den hauptamtlich Angestellten) einfach so sprechen konnten. Natürlich auch über ihre Probleme.
Einer sagte mal zu mir "Du verstehst uns Jugendliche". Ich hatte eigentlich nichts gemacht, einfach nur immer mal wieder bei den Gesprächen zugehört. In dem Moment war es mir nicht klar, aber auf dem Heimweg wurde mir klar: Das war keine Unterscheidung zwischen mir und den beiden Pädagoginnen, zumindest nicht nur. Das war eine Unterscheidung zwischen mir und der restlichen Erwachsenenwelt, in die die Jugendlichen sich allmählich einzugliedern versuchen, die sie aber vorher gerne passgenau haben möchte und sich nicht für sie als Individuen interessiert.
Ein anderer Jugendlicher hat seinen Tag immer damit verbracht, zum Jugendtreff zu fahren und dort überwiegend rumzugammeln. Aber sobald es irgendetwas handwerkliches oder so zu tun gab (z.B. auch, die Räume zu dekorieren), ist er aufgesprungen und hat seine Hilfe angeboten. Auf offener Straße hätte er sich vermutlich nicht so gezeigt, aber im Treff habe ich ihn als sehr hilfsbereit und für jede Beschäftigung dankbar erlebt.
Im Lauf des Praktikums ist mir klar geworden, dass es eigentlich Wahnsinn ist, von "den Jugendlichen" zu sprechen, und warum "die" so reden oder dies und das machen. Jeder Jugendliche hat seine eigene Geschichte und seine eigenen Beweggründe.
Ach ja, zu den Lehrern als Respektsperson wollte ich noch was schreiben: Ich habe bei einer Lehrerin ein Jahr lang konsequent keine Hausaufgaben gemacht. Das war im letzten Schuljahr und hat meine Note fürs Abizeugnis gedrückt. War mir aber nicht so wichtig. Die Frau hatte eine natürliche Autorität von 0,0.
Mein Englischlehrer in der Klasse 11 hat Leute teilweise auf den Tisch klettern lassen, wenn sie Mist gebaut haben. Das hätte die Lehrerin von danach sich nicht leisten können. Bei ihm hat man es gemacht. Er hätte einen körperlich sicherlich nicht zwingen können. Aber er wusste einfach, wie man mit Schülern umgehen muss und wie er sich vernünftig durchsetzen kann. Die Lautstärke in der Klasse war stets genau so, wie er sie haben wollte, und die Arbeitsmoral war auch nicht verkehrt.
Wenn man Jugendlichen eine starke Persönlichkeit gibt, die sie ernst nimmt, an denen sie sich auch mal reiben können, und die ihnen gegenüber fair ist und ehrliches Interesse an ihnen hat, läuft der Unterricht auch. Wenn man diese Nasen auf Schüler los lässt, die am Ende des zweiten Semesters merken, dass sie als zukünftige Grundschullehrer Kinder hassen, muss man sich nicht wundern, wenn nichts gelernt wird.
Aber ja, das mal als "kleiner" Appell von meiner Seite, einfach immer im Hinterkopf zu haben, dass man immer nur Facetten eines Menschen sieht. Hinter jedem Verhalten steckt vermutlich eine ganze Biographie. Man muss nicht alles gut finden, aber man sollte die Jugendlichen auch nicht abschreiben. Wenn wir das tun, sind wir selbst die Verursacher des Problems.
Okay, Moralapostel-Mode: Ende. :p