Wie fühlt sich ein Blinder?

  • Ich weiß, dass das eine sehr ungewöhnliche Frage ist, doch beschäftige ich mich schon öfters unterbewusst mit dem Thema und frage mich wie es ist blind zu sein. Natürlich ist mir bewusst, dass man es selber erleben muss um zu wissen wie es ist blind zu sein, dennoch würde es mich interessieren wie andere Menschen darüber denken.


    Hier z.B. hab ich eine gute Antwort aus einer Seite gefunden:


    Zitat

    du musst dir das so vorstellen: du stehst in einen raum ohne fenster und licht es ist dunkel. und du weisst nicht ob vor dir was ist oder nicht. bestimmt würdest du nach den licht schalter suchen aber für einen blinden nütz es nicht danach zu suchen weil er sein ganzes leben sich wie in einen dunklen raum fühlt.


    Wie denkt ihr darüber?


    Ich würde mich auf Antworten und auf Meinungen freuen.


    MFG Alexandra

  • Vor einiger Zeit hab ich einen tollen Thriller gelesen, von dem Schriftsteller Sebastian Fitzek "Der Augensammler".
    Es geht um zwei Hauptpersonen. Einer Blinden und einem alten Kommissar.


    Die Welt der Blinden wird wirklich toll beschrieben und der Autor hat wirklich viel über diese Welt herausgefunden und auch Blinde befragt. Er hat sich so viel mit dem Thema beschäftigt, dass es wirklich toll war, dieses Buch zu lesen.


    Mich hat es schon immer interessiert, was Blinde wirklich genau träumen, denn wir "Sehende" träumen dass, was wir vom Tag her gesehen haben und unterbewusst im Schlaf verarbeiten. Aber was träumt man, wenn man gar nicht weiß, wie die Farbe grün aussieht? Oder wie das Gesicht eines Menschen wirklich aussieht?


    Es gibt ja auch verschiedene Arten von Blindheit. Manche sehen wirklich gar nichts, andere können Umrisse sehen oder die Licht-Dunkel-Unterschiede erkennen. Manche orientieren sich auch durch Schnalzlaute; wie Fledermäuse, die Schallwellen benutzen orientieren sich wirklich sehr wenige Blinde mit dem Echolot um zu wissen, wie groß ein Raum ist oder ob etwas vor ihnen steht.


    Außerdem würde ich blinde Menschen als gar nicht "hilflos" bezeichnen, denn sie haben sich gut mit ihrer Situation zurechtgefunden und wissen, wie man sich im Alltag bewegt. Wenn man seit der Geburt an blind ist, wächst man damit auf und fängt an zu verstehen und damit umzugehen. Natürlich hilft auch die Technik unserer heutigen Zeit, muss man sagen. Es gibt Training für blinde Menschen, wie sie sich im Verkehr zurecht finden.


    Was ich auch noch sehr interessant finde: Meine Cousine (ebenfalls blind seit Geburt an - leider sehe ich die Gute viel zu wenig -.-) kann herausfinden, wie groß ein Mensch ist, männlich oder weiblich, dick oder dünn, indem sie diesen jemand am Handgelenk packt. Ich find das immer wieder interessant. Außerdem regt sie sich immer tierisch auf, wenn man etwas an ihrer Wohnung ändert. Verschiebst du nur für einen Zentimeter eine Vase, stolpert sie natürlich drüber, da sie ganz genau weiß, wo was in ihrer Wohung steht. Ich finde es auch faszinierend, dass Blinde dich nicht ansehen sondern dir dein Ohr zuwenden.


    http://www.anderes-sehen.de/
    Interessante Seite ;) kannst du ja mal reinsehen.

    Shouganai.
    Hakuna Matata.
    Bei Nacht sind alle Miezen Schwarz.
    Das letzte Hemd hat keine Taschen.
    Wir alle bluten die selbe Farbe.
    Der Regen fällt auf die Köpfe der Menschen gleichermaßen.
    Kommt Zeit, kommt Rat.



    ;

  • Ich habe in der Schule mal "Behalt' das Leben lieb" von Jaap ter Haar gelesen. Das Buch handelt von einem Jungen, der durch einen Unfall blind wird, und davon, wie er danach versucht, mit seinem völlig veränderten Leben klar zu kommen. Das zeigt sehr schön, welche neuen, besonderen Seiten die Blindheit hat, welche Fortschritte der Junge macht, und welche negativen Veränderungen die neue Situation mit sich bringt.


    Ich denke, da muss man auch sehr stark unterscheiden, ob jemand von Geburt an blind ist oder ob er es im Laufe seines Lebens wird (zum Beispiel durch einen Unfall oder eine Krankheit). Für mich selbst, der ich "normal" sehen kann, ist die Vorstellung sehr unheimlich.


    Mich würde interessieren, ob blinde Menschen Erinnerungen bildlich rekonstruieren können, oder ob die visuellen Erinnerungen mit dem Sehvermögen zusammen hängen und es deshalb nicht möglich ist.

  • Ich denke mal, für jeden von uns ist es unvorstellbar, wie es wirklich ist blind zu sein. Klar, können wir einfach die Augen schließen, oder einen Raum komplett abdunkeln, aber was wir nie nachempfinden können, ist diesen Zustand für immer zu haben.
    Wir wachen auf und Orientieren uns erst einmal mit einem Rundblick in unserer Umgebung. Ein Blinder wacht auf, öffnet die Lider und...
    Nichts, keine Veränderung. Ja ich weiß, dass es hier auf die Ausgeprägtheit der Blindheit ankommt, aber so in etwa stelle ich mir das vor. Ein Blinder orientiert sich nicht über unser Hautpsinnesorgan, sondern muss mit den restlichen vorlieb nehmen, die wir nur in geringem Maß benutzen. dafür nimmt er seine Welt über diese Sinne auch in einem immens anderem Maßstab wahr. Er hört mehr, riecht mehr, fühlt mehr. Wie schon von den anderen erwähnt wurde, gibt es Blinde, die sie mittels "Echolot" orientieren. Seinen Gipfel findet das in einem kleinen amerikanischen Jungen, der damit Dinge tatsächlich so gut erkennen kann, als würde er sie in die Hand nehmen und befühlen.


    Blind sein ist ein hartes Schicksal und jedem Blinden, der trotzdem sein Leben mit Erfolg meistert zolle ich hierfür meinen vollen Respekt, denn man sieht ja schon am Spiel "Blinde Kuh", wie hilflos der Mensch eigentlich ohne seine Augen sein sollte.

  • Das ist wirklich eine interessante Fragestellung...
    ich glaube, dass das Empfinden für die Blinden auch davon abhängt, ob sie schon von geburt an blind sind oder das beispielsweise durch einen Unfall erst passiert ist. Wenn man gar nicht weiß, wie es ist, etwas zu sehen, vermisst man es denke ich auch nicht und dafür sind dann die anderen Sinne stärker ausgeprägt und so kommen diese Menschen dann damit auch besser klar...
    Aber wenn man von einem Tag zum anderen plötzlich nichts mehr sehen kann, ist das schon ein schwerer Schicksalsschlag und man muss alles in seinem Leben plötzlich umkrempeln, während man weiß, dass man für immer in einer Art dunklem Raum mit nichts gefangen ist. Schrecklich stell ich mir das vor 8(

  • Ich finde ja erstaunlich, dass von vielen das nachträgliche Erblinden als schlimmer betrachtet wird als wenn jemand direkt so zur Welt kommt. Klar ist es erst einmal ein Schock für denjenigen, der durch einen Unfall oder ähnliches sein Augenlicht verliert, aber auf der anderen Seite: Der hatte Jahre vorher die Gelegenheit, all die Farben und Schönheiten, die man eben mit den Augen wahrnehmen kann, auch in sich aufzunehmen. Er kann diese Dinge aus seinem Gedächtnis abrufen, er weiß, wie die Farbe Grün aussieht – auch wenn ich mir vorstellen kann, dass das mit zunehmender Zeit der Blindheit in Vergessenheit geraten könnte.


    Im Grunde aber muss der Mensch sich in beiden Fällen in einer Welt zurechtfinden, die so stark auf optische Reize ausgelegt ist, dass man Psychologen in die Werbung setzt, um mit ansprechenden Farben einen Kaufwunsch anzuregen. Das Ausmaß dessen, wie stark wir und unsere ganze Umwelt auf unser Augenlicht fixiert sind, ist doch so erheblich, dass es in jedem Falle eine Herausforderung darstellt, sich in dieser Welt mit all den Sehenden, die keine Vorstellung von anderer Wahrnehmung haben, zu behaupten. Ich verstehe daher nicht, wie man diejenigen, die von Geburt an blind sind, so "herabsetzen" kann und finde, dass man sich das ruhig einmal durch den Kopf gehen lassen sollte.

  • Also, es ist schlimm sein Augenlicht zu verlieren. Es ist sogar um einiges schlimmer, als wenn man blind geboren ist.


    Wenn ich es aus meiner Sicht sehe, dann will ich nicht erblinden. Ich lese zu gerne, ich bin ganz und gar, wie vermutlich alle anderen auch, vom Sehen abhängig. Würde ich es jetzt verlieren, sio müsste ich mich komplett umstellem. Wohnung, Arbeit, Gewohnheiten... All das wäre im ersten Moment verloren.


    Man müsste sich komplett umstellen, sein ganzes Leben umkrempeln und sich dann wieder daran gewöhnen. Das ist das schlimme, wir sind halt gewohnheitstiere, denen es schwer fällt etwas zu verändern. Und noch viel schlimmer ist, dass wir die ganze Zeit die Erinnerungen vor Augen haben, wie es ist, ohne es selber wahrnehmen zu können.


    Und genau diesen Aspekt haben Leute, die mit Blindheit geboren sind, nicht haben. Sie leben so, brauchen sich nicht umgewöhnen, denn sie sind es ja gewohnt. Sie haben keine Erinnerungen, denen sie nachjauzen.


    Ich möchte damit nichts schlecht machen. Aber haben möchte ich sowas auch nicht. Allerdings gibt es denn ja noch die anderen Sinne, die dafür sich verstärken werden...


    Im Grunde stelle ich es mir grausam vor...

  • Zitat

    Original von bereth
    Ich finde ja erstaunlich, dass von vielen das nachträgliche Erblinden als schlimmer betrachtet wird als wenn jemand direkt so zur Welt kommt. Klar ist es erst einmal ein Schock für denjenigen, der durch einen Unfall oder ähnliches sein Augenlicht verliert, aber auf der anderen Seite: Der hatte Jahre vorher die Gelegenheit, all die Farben und Schönheiten, die man eben mit den Augen wahrnehmen kann, auch in sich aufzunehmen. Er kann diese Dinge aus seinem Gedächtnis abrufen, er weiß, wie die Farbe Grün aussieht – auch wenn ich mir vorstellen kann, dass das mit zunehmender Zeit der Blindheit in Vergessenheit geraten könnte.


    Ich verstehe daher nicht, wie man diejenigen, die von Geburt an blind sind, so "herabsetzen" kann und finde, dass man sich das ruhig einmal durch den Kopf gehen lassen sollte.


    Diese Meinung teile ich auch. Ein Mensch, der bereits ohne Augenlicht zur Welt gekommen ist, ist in diesem Sinne ein Stück weit ärmer, meiner Meinung nach, denn er wird niemals daran denken können, die Welt gesehen zu haben, und sich an Dinge erinnern, an lachende Gesichter und wie die eigene Mutter aussieht, etc.
    Auch wenn diese Menschen wesentlich besser hören und fühlen, riechen und vielleicht sogar schmecken, es wäre furchtbar, wüsste ich nicht einmal, wie meine Mutter aussieht. Plötzlich wäre ihre Stimme weg, für immer. Das... Nein, ich möchte mir das bewusst nicht vorstellen, denn es macht mich traurig und ängstlich.


    Natürlich, ich könnte schlimmstenfalls Erblinden und hätte wenigstens ein paar Eindrücke, an die ich mich erinnern kann. Aber kein Buch mehr lesen, keine Farben mehr sehen können, falls ich Kinder haben sollte, würde ich meine eigenen Kinder niemals sehen, ... Und all das...
    Ich habe großen Respekt vor Menschen, die Blind, Taub, Stumm oder alles gleichzeitig sind. Da kommt man sich doch manchmal mies vor, wenn man wegen gewisser Nichtigkeiten herumjammert, obwohl man Gesund ist und sich glücklich schätzen könnte.
    An so etwas denke ich persönlich öfter, um mir immer wieder klar zu machen, wie glücklich ich sein kann, allein schon weil ich sehen darf.

  • @Vyerhad
    Eben, wir sind Gewohnheitstiere – aber nur, weil wir einen Zustand gewohnt sind, heißt das nicht, dass wir das Privileg auf eben diesen besitzen und darüber hinaus über all jene urteilen dürfen, die "anderes gewohnt" sind. Mir stößt es sehr sauer auf, wenn jemand tatsächlich glaubt, ein gebürtiger Blinder hätte es leichter, sich zurechtzufinden. Wenn man einmal den Schock verdaut hat, durchläuft man schließlich dieselben Lernphasen wie jemand, der von Geburt an blind ist: Blindenschrift, auf die Umwelt einstellen, Abstände blind ausloten können, auf Geräusche und Gerüche sowie diverse Gefühle auf der Haut mehr Acht geben als gewöhnlich – das sind alles Dinge, die ein gebürtiger Blinder ebenso beherrschen und auch ebenfalls erst erlernen muss. Der einzige Vorteil, den man dabei haben dürfte, ist die Tatsache, dass man als Kind schneller lernt.


    Nur weil man dann als geborener Blinder nie all jene Dinge gesehen hat, die andere wahrnehmen können, heißt das im übrigen nicht, dass man sich nicht fragen könnte, wie die wohl beschaffen sind. Glaubst du, ein Blinder fragt sich nicht mitunter auch mal, wie seine Familie aussieht, wie das Gras aussieht, das er unter seinen Fingern spürt? Vor allem, wenn um ihn herum alle stets damit "prahlen", was sie sehen können. Jemand, der im Laufe seines Lebens erblindet, kann von Erinnerungen zehren und das ist in den meisten Fällen unglaublich viel wert. Jeder, der schon mal etwas verloren hat, weiß, wovon ich spreche.



    Zitat

    Original von Nyanko
    Ich habe großen Respekt vor Menschen, die Blind, Taub, Stumm oder alles gleichzeitig sind. Da kommt man sich doch manchmal mies vor, wenn man wegen gewisser Nichtigkeiten herumjammert, obwohl man Gesund ist und sich glücklich schätzen könnte.
    An so etwas denke ich persönlich öfter, um mir immer wieder klar zu machen, wie glücklich ich sein kann, allein schon weil ich sehen darf.


    Dazu kann ich nur eins sagen:

    Oder auch: Wer etwas verliert, das er einmal besessen hat, sollte nicht jammern, sondern weitermachen, denn es gibt unzählige Menschen auf diesem Planeten, die es weitaus schlimmer erwischt haben. Wer erblindet, den hat es schlimm erwischt – aber kann er deshalb alles Leid der Welt für sich proklamieren? Können wir als Sehende darüber urteilen, wie "schlimm" es ist? Ob es schlimmer ist, blind geboren oder durch einen Unfall erblindet zu sein?
    Das Recht haben wir nicht, so einfach ist das.

  • Ich denke nicht, dass eine von beiden Varianten schlimmer ist, sondern eher, dass es für die jeweils betroffenen psychisch schlimmer ist. Ein Verlust schmerzt mehr, als schon von Anfang an in einer solchen Situation zu sein.
    Jemand der arm geboren wurde, kann trotzdem glücklich sein, weil er die kleinen dinge des Lebens zu schätzen weiß, weil er glücklich ist mit seinem Leben, so wie es ist. Aber jemand, der aus reichtum in die Armut stürzt, verliert etwas. Er muss sich in einer vollkommen neuen Welt zurecht finden, muss neue Maßstäbe ansetzen, muss lernen, auf den gewohnten Luxus zu verzichten.
    Genau so sehe ich das mit dem Blind sein. Jemand, der von Geburt an blind ist, verliert nichts. Er weiß, dass es anderen "besser" geht, weil sie es ihm erzählen, aber er kennt es nicht anders, er hat das Sehen nicht verloren und er wird es, nach heutige Stand, wohl auch nie erlangen.
    Jemand, der allerdings sein Augenlicht verliert, muss sich nicht nur in der neuen Welt des Blindseins zurecht finden, er muss auch den Verlust seines Augenlichts verkraften. Er muss damit leben lernen, nie wieder Bilder bewundern zu können, er muss damit leben sich nie wieder an visueller Ästhetik zu erfreuen, er muss damit Leben nie wieder jemanden lächeln zu sehen.
    Rein Psychisch gesehen, haben nachträglich Erblindete es schwerer, aber das könnte man theoretisch auch mit der Diskussion über Scheidungskinder vergleichen. Letztenendes haben alle betroffenen es schwer, egal, wie sie in diese Situation gekommen sind.


    @Darth Vader:
    My Excuse? I'm a real person and not a fictional superpowered villian :xugly:

  • Sicher, wenn man den psychischen Aspekt der Betroffenen mit einbezieht, ist es aber auch wieder eine völlig andere Betrachtungsweise, als einfach zu behaupten, dieses oder jenes wäre schlimmer/besser.


    Wenn man den nämlich mit einbezieht (was ich, wie man gemerkt hat, in meiner Argumentation nicht getan habe), darf man erst recht nicht über die einzelnen Schicksale urteilen, denn jeder Mensch muss für sich selbst bestimmen, wie gut er mit so einer Behinderung umgeht, und kein Außenstehender kann das jemals nachvollziehen geschweige denn bewerten. Wir können Mutmaßungen anstellen, aber pauschal zu sagen, dass diese oder jene Art der Blindheit (oder man setze hier wahlweise jede andere Krankheit ein) besser zu verkraften wäre als eine andere, halte ich für zu kurzsichtig. Es sind Einzelschicksale, nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.

  • Achja, Erblinden...


    Ich muss zugeben, beschäftigt habe ich mich mit dem Thema sehr oft, unter anderem weil ich selbst einmal kurz davor stand, zu Erblinden. Jetzt bin ich mit einer starken Sehschwäche davon gekommen, was noch einmal Glück ist. Als ich kleiner war, hatte ich schon eine leichte Sehschwäche. Ich bin damals gerne Rad gefahren, in unserer ehemaligen Wohnsiedlung, und Autos fuhren da so gut wie keine, weswegen es eigentlich sicher sein sollte. Meine Mom hat mich dann immer vor unserem Haus rumkurven lassen, während sie das Mittagessen vorbereitet hat. Ich war glaube ich 5 oder 6 Jahre alt. Und wie ich da so schön Rad gefahren bin raste auf einmal ein Auto aus einer Seitenstraße, bremste vor mir ab, traf mich aber noch ein bisschen, und ich flog im hohen Bogen durch die Luft, und auf den Boden. Wie das folgende passiert ist, weiß ich nicht, aber auf jeden Fall hat sich der Brillenbügel irgendwie gelöst, und sich über meiner Augenbraue seitlich in den Kopf gebohrt, und das Glas der Brille ist kaputt gegangen, und einige Splitter gingen rund um mein Auge rein. Ich war da sofort Ohnmächtig, und wurde ins Krankenhaus gebracht, wo alles rausgeholt wurde, und es zu der Prognose kam, dass ich eine starke Sehbehinderung mitnehmen würde. Ich konnte die erste Woche nach der Operation gar nichts sehen, soweit ich weiß, und danach kam das Augenlicht von Tag zu Tag wieder zurück. Glücklicher Weise ist diese Sehbehinderung nicht eingetreten, und ich hatte nur eine etwas stärkere Sehschwäche. Wie es damals die Woche ohne Sehen war weiß ich nicht mehr, weil ich zu klein war, und das einfach zu lange her ist, aber meine Mom meinte, dass ich dort sehr bedrückt und traurig gewirkt habe. Jetzt trage ich Kontaktlinsen, und hab einen Dioptrie-Wert von 7 auf dem einen Auge, und 4 auf dem anderen.


    Ich hab bei meinem Augenarzt mich mal mit einer Frau unterhalten, die erblindet ist. Diese hat mir sehr viel darüber erzählt, wie sie sich damit zurecht findet, und was sie in ihrer Freizeit macht. Was ich sehr schön fand war, dass sie wohl eine besondere Freude an Hörspielen und Hörbüchern hatte, und sehr gerne sich zurück lehnte, und einfach nur den Geräuschen lauschte. Man selbst kann sich gar nicht wirklich vorstellen, wie es ist, ohne Augenlicht, aber wenn man sowas von Geburt an nicht hat, kann man damit wohl besser umgehen, als Menschen, die darauf verzichten mussten, und es einmal hatten. Diese Frau hatte jedenfalls gemeint, dass sie zwar gerne sehen würde, aber auch glücklich ohne dieses Augenlicht ist, und sich davon nicht runter ziehen lässt, da sie auch so gut zurecht kommt. Bei ihr ist es aber wie bei Akadendoels Cousine, sie mag es überhaupt nicht, wenn Dinge sich verändern. Ich stelle es mir aber auch schwer vor, Hörbücher von Geschichten zu hören, und daran Spaß zu haben. Ich stelle mir die Geschichte bei sowas immer bildlich vor. Mich würde da wirklich die Denkweise, wie blinde Menschen sich Dinge vorstellen und verarbeiten interessieren.


    Zitat

    Original von Akadendoel
    Mich hat es schon immer interessiert, was Blinde wirklich genau träumen, denn wir "Sehende" träumen dass, was wir vom Tag her gesehen haben und unterbewusst im Schlaf verarbeiten. Aber was träumt man, wenn man gar nicht weiß, wie die Farbe grün aussieht? Oder wie das Gesicht eines Menschen wirklich aussieht?


    Wie gesagt, man wird ja schon bei einem Sehvermögen von 2% oder weniger werden als blind bezeichnet. Ich weiß auch nicht so genau, wie man das dort differenzieren könnte. Wie viel ein Mensch mit 2% sieht, und wie viel einer mit keinem erkennen kann. Es sind ja nicht alle gesetzlich als blind eingestuften Menschen völlig blind. Es können zum Beispiel Menschen mit minimaler Lichtscheinwahrnehmung - als blind eingestuft - sich anhand Lichtquellen orientieren und somit Vorteile gegenüber einem Vollblinden Menschen haben.


    Da muss ich ehrlich zugeben, dass ich es irgendwie interessant finde, wie sich ein blinder Mensch verhält. Wie er denkt, und was er sich vorstellt. Das Gehirn hat, solange der Mensch wirklich Vollblind ist, und das seit seiner Geburt, ja noch nie etwas mit dem Auge wahr genommen, wodurch die Vorstellungskraft und das Denken sicher nicht auf Bilder ausgelegt ist, sondern eher auf die anderen Sinneswahrnehmungen, wie das Hören oder Fühlen. Sowas finde ich wirklich interessant, da ich selber immer in Bildern denke. Bei den Träumen wird es wohl genau so sein. Man wird dort eher die Geräusche und Gefühle in den Vordergrund rücken. Ein Traum ist ja flach gesagt die Verarbeitung von erlebten Handlungen, und ein Blinder hat nichts zum sehen, weswegen seine anderen Sinne umso mehr im Traum beeinflusst werden.


    Wenn ich träume, nehme ich eher Dinge vor dem Auge wahr, und sehe Sachen, anstatt zu hören, oder gar zu fühlen, schmecken oder zu riechen.


    Ich denke, Mereko hat es dort grad am besten auf den Punkt gebracht. Nachträgliche Verluste sind schwerer, als welche, die seit deiner Geburt an dir haften. Kennst du etwas nicht, hörst nur von ihm, vermisst du es nicht so sehr. Weißt du hingegen, was dieser Verlust ist, und wie er sich anfühlt, wie es ist, ihn zu haben, fühlst du ihm mehr hinterher. Ist wie bei meinen Großeltern. Ich kannte sie nie, und hab nur von ihnen gehört, weswegen ich ihnen nicht so sehr nachtrauern kann, als sie gestorben sind. Meine Mutter hingegen ist tagelang traurig gewesen, richtig fertig, als sie von deren Ableben erfahren hat.

  • Zitat

    Original von bereth...Der hatte Jahre vorher die Gelegenheit, all die Farben und Schönheiten, die man eben mit den Augen wahrnehmen kann, auch in sich aufzunehmen. Er kann diese Dinge aus seinem Gedächtnis abrufen, er weiß, wie die Farbe Grün aussieht – auch wenn ich mir vorstellen kann, dass das mit zunehmender Zeit der Blindheit in Vergessenheit geraten könnte.


    Mein Opa ist einer von denjenigen die erst in laufe von Jahren erblindet ist. Er meinte es ist schrecklich wenn es langsam kommt, klar man kann sich drauf vorbereiten. Aber jeder Tag war für ihn schlimm, jeden Tag wurde es schlimmer mal zwar auch mal wieder besser aber es war ihm immer bewusst das es jeden Tag vorbei sein konnte. Ich denke es ist schlimmer zu verlieren was man einmal hatte als es nie zu haben.
    Auch sagt er, das die Bilder wie du schon vermutet hast nach und nach schwinden. Er kann sich Farben nicht mehr vorstellen sieht nicht mehr die Gesichter der Menschen vor sich. Er sagt selbst die Geschter vieler Freunde und selbst Verwandschaft schwinden Tag für Tag. Er war vor allem in der Zeit nachdem er dann vollkommen Erblindet war schon fast depressiv und stets schlecht gelaunt. Und man merkt es ihm an das es ihn manchmal schon sehr niederschlägt wie hilflos er in mancher beziehung geworden ist.


    Gewiss ist es auch nicht schön wenn man von Anfang an Blind ist, aber ich denke da sich Blinde das "Sehen" nicht vorstellen können, ist es für sie zwar sicher irgendwie etwas was sie auch gern hötten und natürlich auch ein Handicap, aber ich denke da sie es nie anders kannten ist dieses Verlust Gefühl nicht so da. Aber das kann man nie sagen wenn amn es nicht erlebt hat und jeder Mensch geht auch anders damit um.

  • @ Hellton: Schöner Beitrag.


    Zitat

    Original von bereth
    Jemand, der im Laufe seines Lebens erblindet, kann von Erinnerungen zehren und das ist in den meisten Fällen unglaublich viel wert. Jeder, der schon mal etwas verloren hat, weiß, wovon ich spreche.


    Das kann sich auch ins Gegenteil umschlagen. Man erinnert dann zwar, was man mal hatte, aber ich denke, du liegst falsch mit der Ansicht, dass jeder, der blind wird, nur glücklich darüber ist, dass er mal sehen konnte. Meiner Erfahrung nach ist das kein "Schock", der sich in allen Fällen so überwinden lässt, wie du es darstellst.
    Die Erinnerungen, die ein Erblindeter hat, können nicht nur bewirken, dass er davon zehrt, sondern ebenso, dass er ihnen ewig nachtrauert und psychische Probleme bekommt. Und kann man ihm das bei einem solchen Schicksal wirklich mit dem Argument absprechen, dass es anderen Leuten immer irgendwo schlechter geht?

  • Zitat

    Original von Grog
    Die Erinnerungen, die ein Erblindeter hat, können nicht nur bewirken, dass er davon zehrt, sondern ebenso, dass er ihnen ewig nachtrauert und psychische Probleme bekommt. Und kann man ihm das bei einem solchen Schicksal wirklich mit dem Argument absprechen, dass es anderen Leuten immer irgendwo schlechter geht?


    Natürlich kann man ihm das nicht absprechen. Jedes Leid, egal wie groß oder klein, verdient Beachtung und jeder, der ein Problem hat, mit dem er allein nicht zurecht kommt, verdient auch entsprechende Unterstützung. Das spreche ich auch niemandem ab, im Gegenteil.


    Ich muss nur sagen, dass ich extrem empfindlich auf Selbstmitleid reagiere und es daher nur umso trauriger finde, wenn jemand, der erblindet ist, sich davon direkt ins Bockshorn jagen lässt. Ich betrachte viele Dinge eben recht pragmatisch – und mir ist sehr gut bewusst, dass diese Sichtweise vielen Leuten sauer aufstößt (nicht umsonst reagiert ihr ja auch entsprechend auf mein Geschreibe). Es ist in meinen Augen aber noch ein erheblicher Unterschied, ob jemand psychische Probleme aufgrund seiner erlangten Blindheit bekommt und diese versucht zu lösen – oder ob er sich einfach komplett ins Nichts stürzt und sich hängen lässt, statt all denen, die ihm Unterstützung zusichern, auch diesen Weg leichter zu machen. Versuchen, aus dem Loch rauszukommen. Versuchen, zu leben, sein Leben auch auf die neue, ungewohnte, schwere Art und Weise zu meistern.


    Das bezieht sich im übrigen nicht auf deinen Großvater, Hellton, da ich seine Situation nicht einschätzen kann. Es geht mir nur um (recht allgemein betrachtet nun, das lässt sich auf mehr als nur Blindheit anwenden) jene Menschen, die einen Kampf nicht einmal in Erwägung ziehen und aufgeben, bevor sie überhaupt versucht haben, ihr Leben erneut zu meistern.
    Solchen Menschen möchte ich manchmal einfach ins Gesicht schlagen, was aber in persönlicher Erfahrung begründet liegt. Ich kenne (oder kannte…) Menschen, die unglaubliches durchmachen mussten und die sich dennoch durchgebissen haben. Jemanden, der aufgibt, und sich das Recht herausnimmt über andere zu urteilen, kann ich nicht ernst nehmen.



    Mir ist bewusst, dass das alles sehr allgemein gehalten ist. Es soll auch nur zur Verdeutlichung meiner vorherigen Aussagen dienen und im Grunde nicht weiter auf die Debatte "was ist schlimmer" eingehen. Gesagt haben wollte ich es trotzdem einmal. ^^

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