Ich wollte schon länger mal dieses Thema anschneiden, allerdings ohne es in den anderen Corona-Thread zu packen, da es hier weniger um das Virus und seine geundheitlichen Auswirkungen gehen soll oder die Zeit während der Pandemie, sondern darum, welche Auswirkungen sich dadurch für uns alle in Alltag und Co als Menschen ergeben haben.
Corona hat uns ja als Gesellschaft (mit Gesellschaft meine ich hier jetzt primär Deutschland) in mehrfacher Hinsicht erschüttert und geprägt. Die Pandemie hat ihre Schwierigkeiten mit sich gebracht, uns allerdings auch an vielen Stellen dazu gezwungen umzudenken und umzusatteln. Die Digitalisierung, ein Thema, das in Deutschland bislang immer bekrittelt wurde, hat einen unfreiwilligen Schub erhalten - wenn auch nicht unbedingt hinsichtlich dessen, dass jetzt flächendeckend WLAN verfübgar wäre, Glasfasern gebaut wurden und unsere Bürokratie jetzt cool ist. Wir sind natürlich immer noch vergleichsweise rückständig was das alles betrifft. Nichtsdestotrotz sind manche Dinge geblieben und haben sich nachhaltig verändert. Stichworte sind hier zum Beispiel Homeoffice, aber eben auch Digitalisierung von diversen Prozessen, für die man vorher Amtsgänge, etc. hat hinlegen mussen. Die einen sagen jetzt, das war lange überfällig und ist toll, andere werden vielleicht darüber streiten, weil ihn trotz nerviger Zeltwirtschaft der Kontakt zu den Menschen fehlt, zumal solche Prozesse gerne ja auch mal mit Stellenabbau und Jobverlust in Verbindung stehen.
Das sind sicher alles Dinge, die jeder mal irgendwo aufgeschnappt hat. Etwas, das mich aber mehr beschäftigt, und wo ich mich oft dabei erwische, mich zu fragen, ob es nicht auch eine negative Folge der Pandemie ist, sind die zwischenmenschlichen Entwicklungen der letzten zwei Jahre und auch Themen wie mentale Gesundheit und Kommunikations-Kultur.
Die Pandemie hat uns (fast) alle eine lange Zeit ziemlich in soziale Isolation gezwungen. Für Menschen, die ohnehin lieber in ihrer Höhle sind oder die, die mit mehreren oder ihrer Familie zusammen leben, sprich nicht allein waren, war das gewiss auch eine Strapaze, aber vielleicht nicht ganz heftig wie für die Leute, die während dieser Zeit vollkommen allein waren und darunter auch aktiv gelitten haben. Dass sich Einsamkeit und Isolation auch aufs Gemüt niederschlagen und sich letztlich auch auf die Psyche auswirken können, ist weder verwunderlich noch weit her geholt. Allerdings macht es wohl einen Unterschied, wenn man quasi "unfreiwillig" dort hinein gerät, und es im Nachhinein kaum stichhaltige oder wirksame Untersuchungen (oder sogar Maßnahmen) dazu gibt, außer den Leuten zu sagen, sie sollen wieder vor die Tür gehen.
Der Mensch ist aber meiner Meinung nach ein Gewohnheits-Tier, und ich glaube nicht, dass es jedem auch so leicht gefallen ist, das gleich wieder abzulegen oder umzusetzen.
Der zweite Aspekt greift quasi wieder Digitalisierung und Kommunikation auf. Während Corona mussten viele Leute aufgrund besagter Isolation gezwungermaßen auf alternative Kommunikationsmittel zurück greifen; gerade Messenger Systeme und Social Media haben hier natürlich eine Blütezeit erlebt, manchen Leuten hat es geholfen sich zu vernetzen, aber wie ihr alle wahrscheinlich wisst, werfen diese "sozialen Blasen" auch die Gefahr auf, durch gezielte Algorhythmen und Co Probleme herauf zu beschwören, die man auf den ersten Blick nicht mal erahnt: Dabei spreche ich von Desinformation, der Konzentration ideologischer und extrem geprägter Gruppen, aber auch weit weniger "konkrete" Dinge, wie eine vielleicht unbewusste, aber noch stärkere soziale Selbst-Isolation hinter dem Schein digitaler Kontakte (die nicht immer auch sozial sind und auch keine RL Kontakte in allem ersetzen können), sowie FOMO (fear of missing out), der Beeinflussung von Aufmerksamkeit und kognitiven Fähigkeiten (Stichwort TikTok-Brain) sowie einer Gebrauchs-Frequenz solcher Medien und vlt. dem Smartphone allgemein. Kurzgesagt: Ja, ich spreche hier auch von potenziellem Suchtverhalten - was leider, wie so viele andere dieser Themen auch, etwas ist, das im Zusammenhang moderner Medien und deren Auswirkung noch nicht ausreichend erforscht ist. Natürlich, wenn auch bedauerlicherweise, ist das aber ein erwartbarer Status Quo. Die Entwicklungen der letzten Jahre waren was solche Dinge betrifft, teils so rasant, dass eine stichhaltige Langzeitstudie allein aus Zeitgründen noch nicht nachkommt.
Was ich - als erlebte Realität - dabei spürbar wahrnehme und beobachte, ist dass sich Menschen meines näheren wie erweiterten Umfeldes seither immer weiter (in sich) zurück ziehen, von früh bis spät vor ihren Geräten kleben, dass sich die Fälle mit psychischen Problemen häufen (und das mache ich weder daran fest, dass man heute offener drüber reden kann, noch dass ich selbst in einer "Bubble" wäre - man erhält hier in der Community schnell einen verfälschten Eindruck, weil sich hier eine Interessengemeinschaft mit vielen Schnittmengen tummelt, aber zumindest mein eigenes Umfeld ist ziemlich durchwachsen und besteht nicht nur aus Gamern und Zelda-Nerds ), und auch, dass viele Leute gefühlt die einfachsten Dinge verlent haben: Sprich vernünftig kommunizieren, aufmerksam sein, sich vernünftig melden, meinetwegen sogar solche Dinge wie Hallo, Bitte, Danke und Tschüss.
Mein persönlicher Eindruck ist tatsächlich, dass sich - auch gefühlt seit der Pandemie - eine gewisse soziale "Verwahrlosung" eingeschlichen hat.
Das ist nicht nur anstrengend und nervig, sondern auch etwas, das ich als beunruhigend empfinde. Und - um das kurz klarzustellen - das ist auch nichts, was ich nur auf mich selbst oder meine eigenen Austausche beziehe, sondern durchweg auch zwischen anderen beobachte. Nervig ist es nicht nur deshalb, weil es einen scheinbar banale Dinge hinterfragen lässt - man stellt sich natürlich auch als erwachsener Mensch die Frage, ob es nicht komplett absurd ist, insbesondere andere erwachsene Menschen auf teils basale Gepflogenheiten hinweisen zu müssen, worauf ich ehrlich gesagt auch nicht immer Bock habe (und was es wahrscheinlich auch nicht besser macht).
Bedenklich finde ich es dennoch. Auch weil ich nicht sicher bin, wie man dem als einzelner oder gemeinsam entgegen steuern kann, weil da einfach viel zusammen kommt, und vieles auch einfach von einem selbst abhängig ist. Man kann Freunden, Verwandten und Bekannten zwar ein Ohr schenken oder Rat erteilen. Wenn solche Leute dann aber drüber jammern, dass sie sich allein fühlen oder auf nix mehr klarkommen, sich aber weigern vor die Tür zu gehen und lieber von früh bis spät am PC hängen und in virtuellen Welten leben und sich berieseln lassen: Ja was soll man da sagen? Für mich ist es offensichtlich, dass die Dosis hier irgendwo auch das Gift macht, und dass zu viel von irgendwas selten gut ist - und das war es auch schon vor dem Intert und Co. Aber du kannst die Leute ja nicht zwingen oder dafür Verantwortung übernehmen. Das klingt jetzt natürlich auch etwas "übersptitzt", soll aber primär erstmal zu einer groben Veranschaulichung dienen.
Meine "These" (vorsichtig formuliert) ist hier also, dass dies auch eine Folge der Pandemie ist oder sein kann. Mich würde interessieren, wie eure Wahrnehmung dazu ist und ob ihr das ähnlich oder ganz anders seht - sowohl auf euch selbst als auf eure Umwelt bezogen. Ich denke nämlich, was man am ehsten tun kann, ist darüber zu sprechen.