Aus schulischen Gründen wühle ich mich gerade durch Berge an lyrischen Texten - da ist mir gerade beim Stöbern mal aufgefallen, dass es noch gar keinen Thread dieser Art zu geben scheint, da dachte ich, ich mache einfach mal einen auf.
Hier soll es um eure Lieblingsgedichte gehen - ganz gleich, von wem oder woher sie stammen, wie alt sie sind und ob ihr sie vielleicht auf Opas Dachboden in einem angeschimmeltem Buch gelesen habt, hier kann man sie vorstellen und erzählen, warum man sie gut leiden kann. Oder vielleicht gibt es Gedichte, die euch gar nicht gefallen // schon zu den Hylianerohren raus hängen? Wenn ja, warum?
Bitte nicht vergessen, den Autor zu nennen, sonst gibt es vielleicht Ärger mit den Urheberrechten...
Das muss jetzt nicht in ganze Analysen ausarten, will euch nicht vergraulen XD
Eins meiner persönlichen Favoriten ist "Die Ballade vom Nachahmungstrieb" von Erich Kästner.
ZitatAlles anzeigenEs ist schon wahr: nichts wirkt so rasch wie Gift!
Der Mensch, und sei er noch so minderjährig,
ist, was die Laster dieser Welt betrifft,
früh bei der Hand und unerhört gelehrig.
Im Februar, ich weiß nicht am wievielten,
geschah's auf irgendeines Jungen Drängen,
daß Kinder, die im Hinterhofe spielten,
beschlossen, Naumanns Fritzchen aufzuhängen.
Sie kannten aus der Zeitung die Geschichten,
in denen Mord vorkommt und Polizei.
Und sie beschlossen, Naumann hinzurichten,
weil er, so sagten sie, ein Räuber sei.
Sie steckten seinen Kopf in eine Schlinge.
Karl war der Pastor, lamentierte viel,
und sagte ihm, wenn er zu schrei'n anfinge,
verdürbe er den anderen das Spiel.
Fritz Naumann äußerte, ihm sei nicht bange.
Die andern waren ernst und führten ihn.
Man warf den Strick über die Teppichstange.
Und dann begann man, Fritzchen hochzuziehn.
Er sträubte sich. Es war zu spät. Er schwebte.
Dann klemmten sie den Strick am Haken ein.
Fritz zuckte, weil er noch ein bißchen lebte.
Ein kleines Mädchen zwickte ihn ins Bein.
Er zappelte ganz stumm, und etwas später
verkehrte sich das Kinderspiel in Mord.
Als das die sieben kleinen Übeltäter
erkannten, liefen sie erschrocken fort.
Noch wußte niemand von dem armen Kinde.
Der Hof lag still. Der Himmel war blutrot.
Der kleine Naumann schaukelte im Winde.
Er merkte nichts davon. Denn er war tot.
Frau Witwe Zwickler, die vorüberschlurfte,
lief auf die Straße und erhob Geschrei,
obwohl sie dort doch gar nicht schreien durfte.
Und gegen sechs erschien die Polizei.
Die Mutter fiel in Ohnmacht vor dem Knaben.
Und beide wurden rasch ins Haus gebracht.
Karl, den man festnahm, sagte kalt:
"Wir hab'n es nur wie die Erwachsenen gemacht."
Ich finde, Kästner schafft hier einen ganz wundervollen Kontrast zwischen der düsteren Handlung und dem einfachen, klaren Schreibstil. Ich habe dieses Gedicht mal in meinem Deutschbuch gefunden - gegen Ende der sechsten Klasse muss das gewesen sein - und ich fand es teils schockierend, dass neben Stadt-, Land-, Flussgedichten so ein einfaches, dunkles Textlein steht, aber diese scharfe Kritik hinter der simplen Geschichte einiger "spielender" Kinder... Ich weiß nicht, ich finde es faszinierend auf eine gräueliche Art und Weise. Es hat Handlung, es hat Tiefsinn und eine Moral dahinter, ohne zu geschwollen oder kitschig zu wirken, sowas erwarte ich von einem Gedicht.
Mir fallen sicher noch weitere ein, aber erstmal seid ihr dran. =)