...and now for something completely awesome.
[SPOILER=Leonard Cohen, 6. 9. 2012, Hockeypark M'gladbach]Als ich zum ersten Mal die beiden Deutschland-Termine der Old Ideas-Tour sah, war ich zugegebenermaßen zunächst etwas irritiert: Leonard Cohen in Berlin und in... Mönchengladbach? Ernsthaft? Das liest sich ja wie "Jesus in Wanne-Eickel". Oder so. Jedenfalls sehr irreal. Doch wie der Erlöser von damals sich auch nur allzu gern unter die geringsten seiner Mitmenschen mischte, gab sich am Donnerstag tatsächlich der Großmeister der altgedienten Generation der Singer-/Songwriter-Generation (srsly, who the fuck is Bob Dylan?) in der tiefsten westfälischen Provinz die Ehre. Live und in Farbe und mit Band. Die direkte Fortsetzung seiner umjubelten und auch als DVD-Release hochgelobten World Tour von 2008 bis 2010 beinhaltete selbstverständlich einige Überschneidungen in der Setlist, schließlich kommt man mit einer 40 Jahre andauernden Karriere im Rücken nicht ohne ein gewisses Maß an Best Of aus. Auf der anderen Seite gab es aber natürlich auch einige (teils überraschende) Newcomer im umfangreichen Live-Set von über drei (!) Stunden. Mr. Cohen, der mit seinen 77 Jahren x-mal mehr Coolness und Lässigkeit ausstrahlt als so ziemlich jeder andere Künstler auf diesem Planeten, brachte zusammen mit seiner internationalen Band aus extrem geskillten Musikern, die ihn in dieser Besetzung seit mittlerweile vier Jahren begleitet, ein extrem umfang- und abwechslungsreiches Programm auf die Bühne, bei dem man ständig hin- und hergerissen war zwischen ehrfürchtiger Starre und Jubelschreien schier endloser Begeisterung. Die bei Tageslicht noch etwas hässliche Open Air-Location wurde dank dezenter Beleuchtung nach Sonnenuntergang sogar ziemlich atmosphärisch, was ggü. Indoor-Konzerten einen netten Bonus darstellte.
"Ladies and Gentlemen, this concert will commence in ten minutes."
Das Publikum, welches teilweise etwas desinteressiert wirkte (fünf Minuten vor Konzertbeginn stand ein gefühltes Drittel der Zuschauer noch an den Bier- und Würstchenständen), war glücklicherweise die ganze Zeit über recht ruhig. Als das Ensemble die Bühne betrat, verstummten umgehend alle Gespräche und man war gleich direkt im Geschehen: Der elegische Opener Dance Me To The End Of Love vermittelte bereits einen guten Eindruck von dem, was da noch auf uns zukommen sollte und wir (lies: meine bessere Hälfte und ich) konnten zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht so recht glauben, dass all dies gerade wirklich geschieht und es sich nicht nur um einen kuriosen Fiebertraum handelte. Während die letzten Zuspätkommer aufs Gelände strömten, wurde das Publikum mit dem bitterbösen The Future und dem beschwingt-nostalgischen Klassiker Bird On A Wire im Schnellverfahren akklimatisiert und applaudierte von nun an bei jeder Gelegenheit auf frenetischste Art und Weise: Noch nie hat es sich so gut und richtig angefühlt, einem Künstler aus der Hand zu fressen. Der gab sich seinerseits auch alle Mühe, das Publikum mit seiner sonoren Reibeisenstimme und kleineren witzigen Einlagen um den Finger zu wickeln, während er uns mit dem düsteren Everybody Knows weiter in sein Universum entführte. Anschließend stand ein ausgefeiltes Gitarren-Solo im Flamenco-Stil auf dem Programm, welches mit viel Applaus bedacht wurde und nahtlos in Who By Fire überging, was das Publikum ebenfalls lautstark honorierte.
Anschließend wurde es etwas aktueller: Die Songs von Old Ideas, die in ihren Studioversionen sehr ruhig und gediegen daherkommen, entpuppten sich live als echte Brecher. Der schwermütige Blues The Darkness wusste ebenso zu begeisterten wie die fast achtminütige Litanei Amen (ein Track, der mich auf CD nicht so recht zu überzeugen wusste, weswegen die Freude hier umso größer war). Von der Gänsehaut, die das von den Webb Sisters getragene Come Healing oder auch das zum gleichzeitigen Lachen und Weinen einladende Going Home auslösten, will ich an dieser Stelle gar nicht erst groß anfangen. Das muss man einfach erlebt haben.
In diesen Cocktail gemischt wurden das allseits bekannte Sisters of Mercy (welches ich allerdings schon als zu ruhig für ein Live-Konzert empfinde), das nachdenklich-ironische In My Secret Life und, überraschenderweise, das locker-flockige I Can't Forget, dessen Text, von Cohen vorgetragen, mich mehr als einmal zum Schmunzeln brachte.
Mit Anthem endete schließlich die erste Hälfte des Abends und es wurde sich für 20 Minuten in die Pause verabschiedet. Wir blieben, im Gegensatz zum Großteil der Zuschauer, knallhart sitzen und begriffen so langsam, dass wir mittendrin waren. Leonard Cohen live. Und es war schlichtweg fantastisch.
"Thank your for not going home."
Für den Beginn von Hälfte Zwei bekam Mr. Cohen, der mit Coolness +20-Sonnenbrille zurück auf die Bühne kam, ein kleines Keyboard zur Verfügung gestellt, an dem er sich während der Performance von Tower of Song beweisen durfte. "I was born with the gift of a golden voice" brummelte er ins Mikrofon und das Publikum lachte und applaudierte.
Das melancholische Night Comes On, gefolgt vom country-esken Heart With No Companion (dessen krasser Gegensatz von Melodie und Text mich immer wieder fasziniert), bei dem die Band mal so richtig abgrooven durfte, leiteten über zu zwei weiteren Klassikern aus Cohens Œuvre. The Gypsy's Wife lud mit seinen sehnsüchtigen Klängen zum Tränenkullern ein, während eine energiegeladene Interpretation von The Partisan das Publikum abermals in euphorisches Jubeln versetzte. Direkt im Anschluss holte der Meister seine Maultrommel aus der Tasche und gab, wo ja gerade sowieso ein paar flottere Stücke gespielt wurden, direkt noch das hochironische Democracy zum Besten. Puh! Was für ein Songmarathon.
Im Anschluss daran überließ er das Feld kurzzeitig seinen ihn omnipräsent begleitenden Background-Ladies: Die Webb Sisters interpretierten Coming Back To You mit ihren engelsgleichen Stimmen, anschließend hatte seine Langzeit-Mitkomponistin Sharon Robinson ihren großen Auftritt mit einer Nahezu-Soloperformance von Alexandra Leaving, für die es reichlich Beifall hagelte. Anschließend kehrte der alte Herr mit ein paar beschwingten Hüpfern zurück auf die Bühne (wir hatten bei all seinen Aktivitäten da bisweilen Angst, dass er sich was bricht...) und sang uns das ebenso romantische wie humorvolle I'm Your Man, gefolgt von seinem wohl einflussreichsten, weil hundertfach gecoverten Stück: Das epische Hallelujah brachte die Menge zum Mitsingen und setzte dem ohnehin schon sehr spirituell wirkenden Abend die ätherische Krone auf. Abschließend lud Take This Waltz, bei dem Cohen erneut seine komplette Band vorstellte, mit seinem wohligen Schunkeltakt zum Ausklang der zweiten Konzerthälfte ein.
"Won't you come over to the window, my little darling..."
Standing ovations. Runter von der Bühne, wieder rauf auf die Bühne. Dann die Zugaben. Die Leute blieben kollektiv stehen, klatschten und sangen engagiert mit, während die Band mit einer emotionalen Kraft, die ihresgleichen sucht, die zwei noch ausstehenden großen Hits performte: So Long, Marianne und First We Take Manhattan waren eine absolut überwältigende Live-Erfahrung, völlig zurecht so weit am Ende platziert.
Das The Drifters-Cover Save The Last Dance For Me beendete schließlich den Liederreigen dieses Abends und entließ die Fans (wenn auch leider ohne die obligatorischen & liebgewonnenen Schlusssongs Closing Time und I Tried To Leave You...) in die Nacht. Begeisterung in ihrer reinsten Form. Gewünscht hätte ich mir eventuell noch Famous Blue Raincoat, Different Sides vom aktuellen Album sowie das selten gespielte Waiting For The Miracle, aber es wäre wohl vermessen, an diesem rundum perfekten Konzert herumzumosern. Worte können so oder so nicht beschreiben, wie großartig es war.
Unsere zweistündige Heimfahrt mit Bus und Bahn, zusammen mit anderen Konzertbesuchern, war beherrscht von einem nostalgischen "Es darf nicht schon vorbei sein"-Gefühl der allerübelsten Sorte und zuhause angekommen schliefen wir dann ein mit dem guten Gefühl, eines der schönsten Ereignisse auf Erden miterlebt zu haben.
I'm Your Fan.
Gerne wieder.[/SPOILER]
(Für Video-Impressionen empfehle ich den YT-Kanal von albertnoonan, der hat zusammen mit seiner Frau einige wunderschöne Mitschnitte mehrerer Shows angefertigt.)